Wer ist Donald Trump? Die Folgen des verlorenen Selbst
Einleitung
„Es ist ein hochansteckendes Virus. Unglaublich. Aber wir haben eine ungeheure Kontrolle darüber" (Trump a, 2020) - Donald Trump, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika über die globale Covid-19 Pandemie, die die Welt seit sechs Monaten in Atem hält. Dieser 45. Amtsträger Träger, einer der mächtigsten Männer der Welt, ist ein ganz besonderes Exemplar: Kein Thema ist vor ihm sicher, seine Aussagen kennen weder Grenzen des Anstandes, noch sind sie in irgendeiner Weise wissenschaftlich belegt – außer durch ihn selbst. Was Donald Trump sagt, ist Gesetz. Ohne Ahnung, aber dafür mit voller Überzeugung, sendet er seine Meinung - gerne über Twitter - in alle Welt. Seine Kandidatur und Präsidentschaft ist unvergleichlich in der Geschichte der USA und hat bedrohliche Auswirkungen auf die Weltpolitik.
Über wenige andere Menschen wird derzeit soviel geschrieben wie über Donald Trump. Aber, niemand weiß genau, wer dieser Mensch eigentlich ist. Er selbst weiß es auch nicht. Als Psychologe und Therapeut habe ich in meiner Praxis viele Persönlichkeitsstörungen gesehen und behandelt. Besonders die Analyse und Aufarbeitung der eigenen Biografie sowie des sozio-kulturellen Kontextes ist ein Schlüssel und zentraler Teil meiner Methode, die ich seit fast 40 Jahren erfolgreich anwende.
In diesem Artikel möchte ich meine eigene Methode, untermauert durch die dazugehörigen psychologischen Theorien und Erkenntnisse, am Beispiel von Donald Trump anwenden: Im ersten Schritt erfolgt eine kurze Einführung in die Entwicklungstheorie nach Winnicott. Dies ist die Grundlage für die Einordnung der Biografie der Familie Trump und ihren Einfluss auf den heutigen Präsidenten. Aufbauend darauf, wird die Introjekttheorie von Winnicott sowie die Eigenschaften von sozialisierten Psychopathen nach Dutton auf das Fallbeispiel angewandt. Weiter werden gesellschaftliche und wirtschaftlichen Einflüsse (sozio-kulturelle Faktoren) erläutert, um den Zusammenhang von Entwicklung, Biografie, Erziehung und sozio-kulturelle Faktoren, und deren Einfluss auf die Psyche und Persönlichkeit eines Menschen, zu verdeutlichen.
Dieser Artikel soll zeigen, wie früh Persönlichkeitsstörungen entstehen, wie komplex sie eingebettet in kontextuelle Faktoren sind und wie gefährlich die richtige Mischung all dieser Aspekte ist und sich äußerst negativ auf Menschen auswirken kann. Nicht alle werden Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, aber es sind viele Menschen mit derartigen psychischen Störungen - direkt oder indirekt - betroffen und leiden massiv darunter.
Kommentar zu den weiteren Ausführungen: Der Aufsatz stützt sich primär auf meine Erkenntnisse fast 45-jähriger Praxisarbeit und den von mir angewendeten Theorien anerkannter Psychologen. Das Fallbeispiel Donald Trump habe ich gewählt, da es jedem bekannt ist, und ich natürlich keine Informationen von meinen Klienten öffentlich verwende. Auf Rückfragen und anregende Diskussionen freue ich mich.
Theoretische Grundlage 1: Das verlorene Selbst
Vor 70 Jahren entwickelte der Kinderarzt und Psychoanalytiker Donald W. Winnicott eine bis heute allgemein anerkannte Theorie des Selbst als psychische Struktur. Er unterscheidet dabei zwei verschiedene Selbststrukturen: Ein Wahres Selbst und ein Falsches Selbst. Das Wahre Selbst ist die Selbststruktur, die die angeborenen Möglichkeiten des Menschen enthalten, und die nach Entwicklung streben: «Man könnte sagen, das zentrale Selbst (Wahre Selbst) sei das ererbte Potential, das eine Kontinuität des Seins erlebt und auf seine eigene Weise und in seiner eigenen Geschwindigkeit eine personale psychische Realität und ein personales Körperschema erwirbt» (Winnicott, 2014).Es versteht sich von selbst, dass sich dieses Potenzial nur entwickeln kann, wenn es von Anfang an durch die primäre Bezugsperson gefördert wird, und der Mensch sich dann im Laufe seines Lebens selbst darum bemüht, sein Potenzial zu entwickeln. Leider findet dieser Prozess nur sehr selten statt, da viele Menschen stark durch äußere Faktoren wie Erziehung, Traumata, Vernachlässigung, Repression und emotionalen Missbrauch beeinflusst werden.
Winnicott beschreibt die Entwicklung eines Falschen Selbst durch die Erfahrung, von Kindesbeinen an seine wichtigen Bedürfnisse nicht befriedigt zu bekommen. Vor allem in der größten Abhängigkeit von der primären Bezugsperson ist der Säugling darauf angewiesen, dass seine existenziellen Bedürfnisse wie Liebe, Geborgenheit und eine gute Bindung befriedigt werden. Ist das nicht der Fall, muss sich der Säugling aufgrund des Versagens der Umwelt anpassen und entwickelt ein Falsches Selbst. Winnicott dazu: „Ist die primäre Bezugsperson nicht in der Lage, auf die Bedürfnisse des Säuglings einzugehen, sondern ersetzt die Bedürfnisse des Säuglings durch ihre eigene Geste, dann muss sich der Säugling fügen, damit die falsche Geste der Umwelt einen Sinn bekommt. Diese Form der Gefügigkeit ist die früheste Stufe des Falschen Selbst. Diese Falsche Selbst Reaktion des Säuglings ist die adäquate Antwort auf das Versagen der sozialen Umwelt. Durch das Falsche Selbst baut der Säugling ein falsches System von Beziehungen auf. Mit Hilfe von Introjektionen kann dieser sogar Echtheit vortäuschen, so dass das Kleinkind aufwächst und sich immer wieder mit den Bezugspersonen identifiziert und ein Selbst der Gefügigkeit entwickelt» (Winnicott, 2014). Pathologisch ist es, wenn «das tatsächlich abgespaltene gefügige Falsche Selbst für das ganze Kind gehalten wird» (Winnicott, 2014). Dieser Abschnitt aus der Theorie von Winnicott ist für mich und meine Arbeit entscheidend: Der Kern des Problems vieler Menschen ist die Autorität der Eltern, vom Kindes- bis hin zum Erwachsenenalter. Das Wahre Selbst hat unter diesen Umständen keine Chance mehr, mit dem realen Leben in Berührung zu kommen, und so wird das Leben selbst leer.
Dementsprechend hat Winnicott folgende Verhaltensweisen beobachtet: «Man beobachtet bei solchen Menschen an Stelle kultureller Aktivitäten äusserste Ruhelosigkeit, Konzentrationsunfähigkeit und ein Bedürfnis, aus der äusseren Realität störende Einflüsse auf sich zu ziehen, so dass die Lebenszeit des Individuums mit Reaktionen auf diese Störungen ausgefüllt werden kann» (Winnicott, 2014). Das verlorene Selbst und der Aufbau eines Falschen Selbst ist die Tragik und das Verhängnis von Donald Trump. Diese psychologische Einbettung ist elementar für die weitere Ausführung des biografischen Hintergrundes der Familie Trump.
Biografischer Hintergrund
Die Familie Drumpf – ein amerikanischer Traum aus Deutschland
Im Jahr 1885 wandert der 16-jährige Friedrich Drumpf von Bremen nach Amerika aus. Er schlägt sich zunächst in New York City durch und zieht dann weiter nach Seattle. Nach sieben Jahren in Amerika lässt er sich einbürgern und nimmt den Namen Trump an. Mit Schläue und Gerissenheit erarbeitet sich Friedrich Trump einen kleinen Wohlstand. Mit 32 Jahren fährt er zurück nach Deutschland, um dort zu heiraten. 1905 kehrt er zusammen mit seiner Frau Elizabeth Christ nach New York zurück. Sein noch bescheidenes Vermögen legte Friedrich in Immobilien an. Als 1910 Queens durch die Eisenbahn mit Manhattan verbunden wurde, wächst die Einwohnerzahl von Queens auf 28.4000 Menschen an und Friedrich wird erstmals richtig reich. Sein einziger Sohn, Frederick Christ Trump, genannt Fred Jr., begleitet den Fred Sr. immer bei seiner Arbeit, und lernt so das Handwerk des Immobilienunternehmers aus erster Hand kennen. Als Fred Trump Sr. stirbt, ist Fred Jr. gerade 18 Jahre alt. Aufgrund von Fehlinvestitionen des Vaters bleibt Fred Jr. nichts außer einem Berg Schulden (zusammengefasst D´Antonio, 2016).
Fred Trump Junior – eine autoritäre und verklemmte Person
Von da an sorgt Fred Trump Jr. für die Familie. Nebenbei besucht er eine High-School für Bauwesen und dient sich vom Hilfsarbeiter zum Baufachmann hoch. Beharrlich und geschickt erarbeitete sich Fred Jr. als Immobilienmakler ein ansehnliches Vermögen. In den 1920er und 1930er Jahren beginnt die Politik, im Häusergeschäft mitzumischen. Subventionen werden ausgeschüttet, um den sozialen Wohnungsbau zu fördern. Fred Trump Jr. erkennt sofort, dass er sich mit den politischen Gremien gut stellen muss, und unterstützt durch Spenden und andere Zuwendungen die politischen Entscheidungsträger. Bald zählt er zu den reichsten Amerikanern. Doch die Wirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre reisst auch Fred Trump in den Abgrund, seine Immobilien sind wertlos und er muss zunächst einen kleinen Lebensmittelladen führen, um zu überleben. Fred Jr. macht weiter und fasst im Immobiliengeschäft wieder Fuß. 1935 heiratet er Mary Anne McLeod, eine schottische Emigrantin, und bekommt mit ihr 5 Kinder, zwei Mädchen und drei Jungen: Maryanne 1937, Fred III 1938, Elizabeth 1942, Donald 1946, und Robert 1948 (zusammengefasst D´Antonio, 2016). Donald Trump selbst über seinen Vater: «Mein Vater war extrem streng und fordernd, aber auch eingebildet, manipulativ und heuchlerisch. Er beugte ständig Gesetze, um exzessive Profite aus staatlichen Programmen zu schlagen. Zu Hause führte Trump Senior seine Methoden und Prioritäten vor, wenn er bis spät in die Nacht seine Geschäfte machte. Wenn er sich einmal tatsächlich mit seinen Sprösslingen beschäftigte, brachte er ihnen bei, sich ebenso skrupellos und ehrgeizig und aggressiv zu verhalten. Von mir, Donald, erwartete er, sowohl zu einem Killer als auch zu einem King zu werden. Ich wurde auf die täglichen Routinerunden meines Vaters mit einer grossen Limousine herum chauffiert und so entwickelte ich mich zu einem streitsüchtigen, tyrannischen und körperlich aggressiven kleinen Jungen» (D´Antonio, 2016).
Es ist also festzuhalten, dass Fred Jr. seine Kinder besonders streng erzog und ihnen seine ideologischen Wertvorstellungen Ehrgeiz, Kampfgeist und Siegeswillen manipulativ und brutal einimpfte. Die Biografie lässt mich hier vermuten: Schon Fred Trump Jr. war von seinem Vater nachhaltig beeinflusst worden und konnte sein Wahres Selbst nicht leben.
Neben seiner strengen und manipulativen Art ist Fred Jr. aber vor allem schüchtern, verklemmt, und kann sich nur schlecht ausdrücken. Diese soziale Inkompetenz macht er durch Gerissenheit im Beruf wieder wett. Dennoch will er gefallen: Er besuchte unter anderem die Kurse des amerikanischen Kommunikationsgurus Dale Carnegie. Einer dieser Kurse führte den Titel: «Kommunikation und gewinnende Persönlichkeit.» Als ehemaliger Fleischhändler entwickelte Carnegie ein Konzept, wie man durch gekonntes Reden und Auftreten seinen Erfolg steigern kann. Unter anderem lehrte er „Das Lächeln, das einen guten Preis auf dem Markt einbringen wird." (zusammengefasst D´Antonio, 2016).
Aus meiner Sicht haben Fred Jr. diese Ratschläge aber nicht geholfen, um auf der Beziehungsebene kompetenter zu werden. Ihm blieb einzig seine Arbeit. Genau wie sein eigener Vater, hat auch Fred Jr. keinen emotionalen Bezug zu seinen Kindern. Ausgeglichen wird dieser Mangel durch ideologische Pseudoweisheiten und autoritäres, absolutistisches Verhalten.
Auf diese eigenartige, autoritäre Erziehung reagieren die Kinder von Fred Trump jr. unterschiedlich: Die beiden Töchter besuchen brav alle Schulen und schließen mit einem Studium ab: eine wird Juristin, die andere arbeitet bei einer Bank. Der Kronprinz, Fred III. hingegen, scheitert als Assistent seines Vaters und wird Pilot bei einer Fluglinie. Fred Trump Jr. ist tief enttäuscht und Fred III, der zwar beruflich befreit, emotional aber nicht glücklich ist, verfällt dem Alkohol und stirbt 1981 mit 42 Jahren an einem Herzinfarkt (zusammengefasst D´Antonio, 2016).
Donald Trump – der King und der Killer
Damit kommt Donald an die Reihe, der mittlere Sohn, der schon von Kindsbeinen an beweist, dass er durch und durch wie sein Vater ist. Donald bewundert seinen Vater abgöttisch und ordnet sich ihm total unter. Jeden Sonntag nahm Fred Jr. Donald zum Baustellenrundgang mit. Auf diesen Touren hält sein Vater Vorträge, die regelrecht brutalen propagandistischen Indoktrinationen gleichen, und denen Donald Trump ausgeliefert ist (D´Antonio, 2016).
Ich kann mir vorstellen, wie Fred Jr. seine Rhetoriklehrer nachahmt. Donald beginnt nun, sich stark mit seinem Vater zu identifizieren, und dieser wird zur alles bestimmenden Person. In diesem Alter verinnerlichen Kinder sehr schnell, was ihnen vorgemacht wird. Aus meiner Erfahrung als Therapeut kann ich auch sagen: solche bestimmenden Menschen wie Fred Jr. besitzen die Fähigkeit, durch symbiotische Beziehungsstrategien andere so für sich zu vereinnahmen, dass diese bereit sind, für ihr Idol ihr eigenes Selbst aufzugeben. Diese symbiotischen Beziehungsstrategien beherrschte der Vater von Donald Trump perfekt.
Obige Ausflüge sind für Fred Jr. die willkommene Gelegenheit, Donald mit seinen kruden Vorstellungen und grandiosen Träumen zu indoktrinieren: Er verlangt absoluten Gehorsam und duldet keine Kritik. Donald ist für ihn «ein King» und dazu bestimmt, im Leben etwas Großartiges zu erreichen. Fred Jr. predigt, dass sich harte Arbeit lohnt, und dass das Leben ein einziger Konkurrenzkampf ist. Er bläut Donald ein: «Sei ein Killer! Nur so kannst Du überleben. Töte den anderen, bevor Du getötet wirst» (D´Antonio, 2016).
Donald springt auf die erzieherische Kombination aus strenger Disziplin und grandiosem Überlegenheitsgehabe in einem luxuriösen Umfeld an: er kennt keine Grenzen. Jede Schule, die er besucht, verweist den aggressiven Jungen. Die Eltern Trump entschließen sich, den sozial unangenehm auffälligen Sohn in eine Militärakademie für Jugendliche zu schicken, um ihm seine Disziplinlosigkeit abzugewöhnen (D´Antonio, 2016).
Dieser Schritt erfolgt meiner Meinung nach aus folgendem Konflikt von Fred Jr.: Einerseits bewundert er die rebellische und grenzenlose Verhaltensweise seines Sohnes, gleichzeitig macht er sich Sorgen, dass sein Plan kompromittiert werden könnte, dass sein Sohn einmal die absolute Nummer Eins wird. Vor Jahren hatte der berühmte Psychologe Horst Eberhard Richter in seinem Buch «Eltern, Kind und Neurose» (Richter, 1975) diesen Beziehungsmodus zwischen Eltern und Kind als «Projektive Identifikation» bezeichnet. Die Eltern spalten ihre lebendigen Bedürfnisse ab und projizieren diese auf ihr Kind. Gleichzeitig werden sie dann dauernd mit den von ihnen nicht gelebten Verhaltensweisen konfrontiert und müssen diese dann autoritär unterdrücken. Das Kind gerät in einen klassischen Doublebind: Was das Kind auch macht, es ist falsch. Unter diesen Umständen kann sich kein Selbst entwickeln, weder ein Falsches noch ein Wahres.
Theoretische Grundlage 2: Die Introjekttheorie
In den frühen 1950er bis in die späten 1970er Jahre verändert sich die Psychoanalyse dramatisch. Freuds Triebtheorie steht als Entwicklungstheorie nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses, und die führenden Psychologen wie Otto F. Kernberg, Melanie Klein, John Bowlby, Donald W. Winnicott, Heinz Kohout und viele andere beschäftigten sich mit der psychischen Entwicklung der frühen Mutter-Kind-Beziehung.
Das Prinzip dieser psychodynamischen Perspektive lautet: das Kleinkind beginnt, seine innere Welt mit seinen Bezugspersonen von der Außenwelt zu trennen. Die subjektiven Erfahrungen mit den primären Bezugspersonen, besonders mit den Eltern, prägen die Charakteristik der inneren personellen Welt des Kleinkindes. Es entsteht eine Trennung zwischen der Beziehung zu den Eltern in der realen Welt, und der Beziehung des Kindes zu seinen Eltern in seiner inneren psychischen Welt (Kernberg, 2009).
Winnicott und auch John Bowlby haben mit ihren Beiträgen zur Bindungstheorie und Übergangsobjekttheorie (Winnicott, 2014 & Bowlby, 2006) einen wichtigen Beitrag zur Entwicklungstheorie geleistet:
Einerseits ist die psychische Entwicklung des Säuglings und späteren Kleinkindes von einer intakten guten Bindung zur Mutter abhängig, gleichzeitig aber benutzt das Kleinkind das Übergangsobjekt (zum Beispiel einen Teddybären) als erstes Nicht-Ich Objekt und löst sich von der Mutter. Die Beziehung mit dem Übergangsobjekt symbolisiert für das Kleinkind die Beziehung zur Mutter. Das Kind lernt mit Hilfe des Übergangsobjektes, unabhängig, in der Gegenwart der Mutter alleine zu sein. Das Kind steht in Beziehung und ist trotzdem alleine. Es kann sich von der Mutter ein Bild machen, hat damit die Person der Mutter geistig repräsentiert und kann selbständig ohne die Mutter mit ihr in Beziehung stehen. Man kann sagen, dass das Kind die Mutter introjiziert hat. Die Mutter wird ein Introjekt und zwar aufgrund des subjektiven Erlebens des Kindes mit seiner Mutter. Die Mutter wird durch die Repräsentation ein Teil des Kindes (Winnicott, 2014).
In den 1980er Jahren entwickelten die Psychologen John und Helen Watkins die Ego-States-Therapy. Diese Therapie legt den Schwerpunkt auf die Struktur der einzelnen Person. Sie geht davon aus, dass das «Ich» quasi ein Netzwerk von verschiedenen Personen ist, die durch Erfahrungen in der Kindheit in das «Ich des Kindes» integriert werden. Diese Personen stehen zueinander in Beziehung, und beeinflussen das Verhalten des erwachsenen Menschen nachhaltig. (Watkins & Watkins, 2019).
Nun kommt es häufig vor, dass das Kind so schlecht behandelt wird, dass es nicht nur sein belastendes Erleben verinnerlicht, sondern auch den Täter. In meiner Praxis habe ich das oft erlebt, mit dem Resultat, dass ein solcher negativer Prozess dazu führt, dass die Entwicklung eines eigenen Selbst keine Chance hat. Auch erlebe ich es immer wieder, wie Menschen psychisch leiden, weil sie sich fremdbestimmt fühlen und quasi von den Introjekten regelrecht kolonisiert werden. Oft identifizieren sie sich mit dem Täter, und stellen sich ganz in den Dienst einer fremden Person. Diesen Menschen ist der Weg zur Selbstbestimmung komplett versperrt. Besonders schlimm sieht man diesen Prozess bei Menschen, die in ihrer Kindheit ein Trauma erlebt haben.
Bei Donald Trump habe ich aufgezeigt, wie sein Vater sich seiner Person ermächtigt hat und der Sohn Donald regelrecht verschwunden ist. Durch die Symbiose mit seinem Vater wurde Donald gezwungen, sein Selbst aufzugeben und wurde dadurch zu seinem Vater. Aber Donald Trump wurde keine Kopie des «echten Vaters», sondern des «grandiosen Vaters», der seinen Sohn mit grössenwahnsinnigen Fantasien indoktrinierte. Donald Trump verhält sich seit seiner Kindheit als Fantasieprodukt seines Vaters. Besonders deutlich wird dies im Wahlkampf und in seiner Präsidentschaft, auf diese Beispiele werde ich noch näher eingehen. Ein elementarer Teil meiner Arbeit ist immer, entscheidende Aspekte des sozio-kulturellen Kontexts miteinzubeziehen.
Gesellschaftlicher Kontext
Die Schule der Eliten – die Militärakademie
Als Donald Trump als 13-Jähriger in das Militärinternat eintritt, bekommt er es mit einem äußerst brutalen Kriegsveteranen aus dem Vietnamkrieg, Theodore Dobias, zu tun. Trump schildert später die Erziehungsmethode von Dobias folgendermaßen: „Damals prügelte Dobias einen grün und blau. Es war nicht wie heute, wo man jemanden schlägt und ins Gefängnis wandert (…) Er konnte ein fieses Arschloch sein. Er vermöbelte uns gnadenlos. Man musste lernen zu überleben" (D´Antonio, 2016). In militärischen Schulen wie dieser wird einem Männlichkeitsideal gefrönt, das Überlegenheit und Selbstdisziplin predigt. Gefühle haben keinen Platz und die intellektuellen Bereiche einer Ausbildung werden schlichtweg ignoriert.
So eine Behandlung hinterlässt Spuren: In diesen Jahren wurde Donald Trump jegliche Art von Gefühlsleben aus dem Leib geprügelt. Trotz dieser Erfahrungen hinterlässt Dobias bei Trumpkeine negativen Gefühle. Im Gegenteil, er identifiziert sich mit dem Ex-Soldaten und betont, dass er mit dieser Erfahrung sein Leben erfolgreich als Gewinner bestreiten konnte. Diese Erfahrung macht Donald Trump nicht nur emotional unempfindlich, sondern bestätigte ihn als Gewinner. Ein Satz von Dobias wurde für Donald Trump zu seinem Lebensmotto: „Ich trainierte die Jungs in Baseball und Football und brachte ihnen bei, dass Gewinnen nicht das Wichtigste sei, sondern das Einzige" (D´Antonio, 2016).
Aus meiner praktischen Erfahrung heraus vermute ich, dass sich sowohl die Indoktrinationen von Fred Jr. wie auch die von Dobias in Donalds Verhalten auswirken. Dazu passt folgende Aussage von Dobias über Trump: „Donald war ein Junge voller Sehnsüchte und Ehrgeiz, der einfach immer der Erste sein wollte, in allem und er wollte sehen, dass die anderen merken, dass er immer der Erste ist." und Donald Trump selbst beschreibt seine Schulzeit wie folgt: „Ich war eine elitäre Person. Als ich dann meinen Schulabschluss machte, war ich eine sehr elitäre Person." (zusammengefasst D´Antonio, 2016).
Das amerikanische Bildungssystem – eine Schule des amerikanischen Traums
Neben den Idealen der militärischen Erziehung, entwickelt die amerikanische Gesellschaft ein Bildungsideal, wo das Machen mehr gilt als das Denken. Wichtig wird die Darstellung der eigenen Person nach außen, nicht Denken und Reflektion. Der exzessive Materialismus in der amerikanischen Gesellschaft wird besonders in der Erziehung und der Bildung gefördert. Denn geschäftlicher Erfolg ist das, was zählt. So formuliert der Staat New York Ende der Fünfziger Jahre folgenden Bildungsplan: Man will junge Menschen so ausbilden, dass jeder Schüler einen besonderen Kurs der Selbstverbesserung besuchen musst, wo man etwas darüber lernt, wie «man mit der Menge tickt» und «wie man Anklang» findet (zusammengefasst D´Antonio, 2016). Die Kombination aus militärischer Ausbildung und dem amerikanischen Bildungsmodell ergeben die Voraussetzung, um einen Menschen wie Donald Trump zu dem zu formen, der er heute ist.
Und eine dritte gesellschaftliche Komponente kommt bereits am Ende seiner Schulzeit zum Tragen: die Macht der Medien. Am Schluss seiner Schulzeit gewinnt das Baseballteam von Donald Trump ein Spiel, in dem Trump eine wesentliche Rolle spielt. Er wird in der Lokalzeitung als Matchwinner beschrieben und hoch gelobt (D´Antonio, 2016). Er wird zum ersten Mal einObjekt der Medien und dieser Kick ist der Funken, der die stetige Selbstvermarktung von Donald Trump entfacht. Noch 50 Jahre nach dieser Erwähnung in der Zeitung sagt er folgendes: „Wie viele Menschen kommen in der Zeitung? Niemand kommt in die Zeitung. Es war das erste Mal, dass ich jemals in der Zeitung stand. Ich fand das faszinierend." (D´Antonio, 2016). Diese Faszination hält für ihn bis heute an.
Außerdem passiert folgendes: die Notiz in der Zeitung macht ihn zu etwas Realem und zu einem Helden für Menschen, die davon nur träumen konnten. Dieser Ruhm bestätigte Donald Trump, dass er etwas Besonderes ist und er erkennt, wie stark das Bedürfnis vieler ist, solchen Ruhm zu erlangen und er kann ständig seinem Vater zeigen, wie einmalig er ist.
Dieses Ziel der ständigen Selbstvermarktung wird auch realistisch, da sich gleichzeitig in den Massenmedien eine grundlegende Wandlung vollzieht. Der Ruhm wird demokratisiert. Nicht nur Stars und Politiker besitzen das Privileg in den Medien zu sein; jeder, der es clever anstellt, hat die Möglichkeit dazu (D´Antonio, 2016).
Eine weitere Person, die Donald Trump stark beeinflusst ist Reverend Norman Vincent Peale mit seiner Schrift «Die Kraft des positiven Denkens" (Peale 2011). Dieser evangelische Pfarrer, interessiert sich nicht für die Bibel, sondern entwickelt eine Denkweise, bei der alles nur positiv betrachtet wird: Alles Negative muss ausgeblendet werden, jede Niederlage ist ein Erfolg, die Vergangenheit existiert nicht mehr, nur die Zukunft ist interessant. Schuld ist man nie, nur immer die anderen. Man selbst ist der Größte und Beste. Nur das eigene Ego ist wichtig und die anderen Menschen sind Idioten, die man für seine Ziele gebrauchen kann (Peale 2011). Diese Ideologie von Pater Peale war genau das noch notwendige Drehbuch für Donald Trump um sich zu einem «sozialisierten Psychopathen» zu entwickeln.
Theoretische Grundlage 3: Der sozialisierte Psychopath
Was ist überhaupt ein Psychopath, noch dazu ein sozialisierter? Die psychopathische Persönlichkeitsstörung ist eine psychische Störung, die wir gewöhnlich nur von brutalen Mördern und Verbrechern kennen. Hierbei geht es um die psychopathische Charakteristik einer Persönlichkeit, die viel häufiger vorkommt, als wir annehmen. Eigentlich wissen wir gar nicht, wie viele Psychopathen frei herumlaufen, weil sie in unserer Gesellschaft sozialisiert sind.
Der Psychologe Kevin Dutton beschreibt dies folgendermaßen: „Sie haben eine makellose Tarnung. Nach außen hin sind sie sympathisch, charmant, charismatisch. Dadurch werden wir von ihrem wahren Gesicht abgelenkt, sehen nicht, dass sich dahinter eine Anomalie versteckt, und fühlen uns von ihrem hypnotischen Präsenz angezogen" (Dutton, 2013). Diese Art von Psychopathen sind in allen Berufsgruppen vertreten, besonders aber in der Wirtschaft, der Politik und in den Medien. Dutton bezeichnet diese als „leichte Jungs unter den Psychopathen" (Dutton, 2013).
Forscher haben die Charaktereigenschaften der «leichten Psychopathen» genauer klassifiziert und drei wesentliche Merkmale herausgearbeitet (Dutton, 2013):
Egozentrische Impulsivität: Psychopathen verwenden geschickt im operativen Sinne alle Manipulationsmöglichkeiten des Narzissten. Sie stellen sich systematisch in Beziehungen in den Mittelpunkt. Sie reden nur von sich, gehen prinzipiell jedem Dialog aus dem Weg, kennen nur Erfolge, keine Niederlagen und verleugnen jede Krise. Sie vertragen keine Kritik, sondern nur Lob. Sie lügen und verdrehen systematisch die Wahrheit zu ihren Gunsten. Sie sind die Größten, die Ersten. Verlierer sind die anderen, und die sind an ihrem Schicksal selbst schuld.
Furchtlose Dominanz: Psychopathen kennen keine Angst. Sie sind dermaßen auf den Erfolg konzentriert, dass sie gar nicht merken, dass sie Angst haben könnten. Ihr fanatisches Streben nach Belohnung ist so dominant, dass alle negativen oder warnende Gefühle abgeschaltet werden. Interessanterweise sind Psychopathen auf Ruhm und materielle Belohnung aus, versagen aber bei ideellen Zielen oft. In der Beziehung zu anderen Menschen sind Psychopathen in strategischem Sinne sehr charmant. Dies kann sich augenblicklich ändern, dann sind sie verletzend und autoritär. Hat der Psychopath ein materielles Ziel im Auge, dann kennt er kein Halten mehr und lässt sich nicht mehr von seinem Weg abbringen.
Kaltherzigkeit: Psychopathen empfinden keine Empathie. Sie interessieren sich weder für die Meinung des anderen, noch können sie sich in die emotionale Verfassung des anderen hineinversetzen. Das Gegenüber existiert nicht.
Anhand von Beispielen, möchte ich nun aufzeigen, wie genau diese drei Kerneigenschaften des «leichten Psychopathen» auf Donald Trump zutreffen.
Egozentrische Impulsivität: «Grab them by the Pussy»
Donald Trump äußert sich bei jeder Gelegenheit frauenfeindlich und brüstet sich sogar damit, wie er Frauen ungestraft sexuell belästigen kann. Die Unterhaltungsshow "Access Hollywood" nimmt ein Gespräch zwischen Donald Trump und dem Moderator Billy Bush auf. Das Gespräch dreht sich um eine verheiratete Frau, mit der Trump offenbar Geschlechtsverkehr haben wollte. Trump: "Ich hab´ versucht, sie zu vögeln. Sie war verheiratet. Ich bin wie verrückt auf sie los, aber es klappte nicht. Und sie war verheiratet. Dann hab ich sie wieder gesehen, sie hat diese großen künstlichen Titten und so. (…) Weißt du, ich stehe automatisch auf schöne Frauen - ich küsse sie einfach. Es ist wie bei einem Magneten. Ich küsse sie. Ich warte nicht ab. (…) Wenn du ein Star bist, dann lassen sie dich. Du kannst alles machen. Ihnen an die Muschi fassen. Alles» (CNN Youtube, 2016).
Furchtlose Dominanz: «Der Retter der Welt»
Donald Trumps erstes großes Immobilienprojekt in Manhattan ist das Commodore Hotel. Einst eines der glanzvollsten und teuersten Hotels der Stadt, steht es Mitte der 19070er Jahre vor dem Bankrott. Trump will es übernehmen, renovieren und neu eröffnen. Einen potenziellen Geschäftspartner, der an seinen Plänen zweifelt, lässt Trump mit einer Limousine abholen und zum Rathaus fahren. Dort empfangen ihn der Bürgermeister von New York, der Vorsitzende der städtischen Planungskommission und sein Vater. Es ist Trumps erste Berührung mit der Politik. Der Bürgermeister ist der mächtigste Mann von New York, jedenfalls offiziell. Donald Trump aber muss es so erscheinen, als sei der Bürgermeister ein Mann, der sich benutzen lässt und den er benutzen kann. Für die Übernahme des Commodore Hotel bekommt Trump von der Stadt eine 40-jährige Befreiung von der Grundsteuer – die Investition sei schließlich als "Industrieprojekt in einem unterentwickelten Gebiet" zu werten. Eine merkwürdige Einstufung der belebten Gegend rund um die Grand-Central-Station, den Hauptbahnhof von New York. Die Stadt verliert dadurch in den folgenden zehn Jahren mehr als 60 Millionen Dollar. Mit diesem Geld hätte sie Schulen erneuern, Krankenhäuser bauen, Museen betreiben können. Stattdessen finanziert sie den Aufstieg des Donald Trump. Vater und Sohn haben ihre Verbindungen zu den Parteien in Subventionen verwandelt. Sie haben begriffen: Das beste Geschäft ist eines, bei dem die öffentliche Hand das Risiko übernimmt und sie den Profit einkassieren. Heute gehört es zu Trumps Standardrepertoire, die politische Klasse zu beschimpfen. Sie sind "Versager (…) und inkompetente Typen, die uns in den Abgrund führen". Er selbst muss das Land vor solchen Leuten retten (D'Antonio, 2016).
Kaltherzigkeit: «Nach ihm die Sintflut»
Als Donald Trump in Atlantic City Casinos und Hotels baut, nimmt er große Kredite auf. Zusätzlich bringt er die Casinos mit grossen Versprechungen auf Gewinn an die Börse. Viele glauben ihm und kaufen Aktien - trotz der Warnungen von Wirtschaftsexperten. Kaum eröffnen die Casinos von Trump, häufen sich die Verluste und die Aktien stürzen brutal ab. Trump hat von seinem Geld keinen Cent investiert, aber er hat sich ein großzügiges Honorar für die Geschäftsführung gesichert. Die Casinos machen Pleite, die Aktionäre verlieren ihr Geld und Trump selbst verdient sich eine goldene Nase. Interessanterweise wurde er wegen Wirtschaftskriminalität nicht einmal angeklagt, ganz im Gegenteil stieg seine Popularität: er war der Sieger und die Aktionäre dumme Loser, die nichts Anderes verdient hatten. Mit dieser Art des Geschäftemachens wird Trump zum Selfmade-Milliardär und die neuzeitliche die Verkörperung des amerikanischen Traums (D'Antonio, 2016).
Es ist durch Forschungsuntersuchung erwiesen, dass diese Charaktereigenschaften epigenetisch bedingt sind, dass also sowohl Veranlagung als auch biographische und gesellschaftliche Einflüsse zu der Ausgestaltung eines psychopathischen Charakters beitragen (Dutton, 2013). Wie ich bereits zuvor seine Biografie in einen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Kontext gebettet habe, kommen nun neue Entwicklungen hinzu, die es Donald Trump ermöglichen, in einer verunsicherten amerikanischen Gesellschaft von 2015 sein volles Potenzial als sozialisierter Psychopath auszuleben, und dann tatsächlich die Präsidentschaftswahl zu gewinnen.
Das große Finale: Donald Trump, der 45. Präsident der USA
Im Folgenden möchte ich nun schildern, wie die zuvor dargelegten Theorien des Falschen Selbst (Winnicott), der Introjekttheorie (Winnicott) sowie die drei Kerneigenschaften von sozialisierten Psychopathen (Dutton) im Wahlkampf und dann in der Präsidentschaft ihren vorläufigen Höhepunkterreichen und wie die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen in den USA dabei eine katalysierende Wirkung haben.
Bis vor 2015 war Donald Trumps Meinung: das Präsidentenamt ist ein schlechter Deal und man kann dabei nichts gewinnen (D'Antonio, 2016). Nachdem nun klar ist, wie stark das Vaterintrojekt Donald Trump innerlich dominiert, kann man sich vorstellen, wie der verinnerlichte Fred Trump leidet, dass sein Sohn Donald immer noch nicht nach dem höchsten Amt strebt und endlich zum «King» wird. Auch habe ich erwähnt, dass die Autorität der Introjekte nie aufhört, und mit der Entscheidung Donald Trumps zur Präsidentschaftskandidatur hat sein Vaterintrojekt wirklich die Oberhand gewonnen.
2015 gelingt es Trump, seine Rivalen bei den Vorwahlen zu schlagen. Sein Auftreten und seine politische Meinung haben sich nicht geändert und entsprechen weiterhin dem, was ich bereits in den Beispielen zuvor im Kapitel «Theoretische Grundlagen 3: Der Sozialisierte Psychopath» beschrieben habe. Nun aber haben sich die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschoben:
Die neue Diversität in der Gesellschaft, unter anderem die Obama Präsidentschaft, eine stärkere Präsenz der LGBTQ-Gemeinde sowie der Neuen Feminismus, all das hat große Teile der weißen, amerikanischen Bevölkerungsschicht stark verunsichert und verängstigt (Kimmel, 2013). Aus dieser Verunsicherung und Angst um ihre erste Stellung im Land wird Wut und die «angry white men» hören dem polternden Trump gerne zu. Wie einem Messias, der «endlich mal was sagte" (Kimmel, 2013).
Zu Beginn seiner Kampagne ist Trumps Organisation ein chaotischer Haufen und es scheint klar, dass er der intelligenten und politisch hocherfahrenen Hillary Clinton unterlegen ist. Deswegen braucht Donald Trump Hilfe, und sie kommt in Form von Steve Bannon. Bannon, der rechtsextreme Chefstratege der Plattform Breitband News organisierte resolut und autoritär das Wahlkampfteam. Seine Idee ist es, dass gegenwärtige, amerikanische System zu zerstören und dann ein glorreiches, neues Amerika wieder neu aufzubauen. Eine Revolution unter dem Titel: «Make America Great Again». (D'Antonio, 2016).
Bannon ist eine Schlüsselfigur für den Aufstieg Trumps zum Präsidenten und eine weitere Folge, die aus dem starken Vaterintrojekt resultiert: Wie bereits beschrieben, sind Psychopathen nicht empathisch, aber sehr sensibel, wenn es darum geht, die Schwächen anderer Menschen auszunutzen oder Menschen für sich zu gebrauchen.Donald Trump benötigt Hilfe, um den Wahlkampf zu gewinnen und damit seinen innerlichen Vater zu befriedigen – koste es was es wolle.
Und Bannon liefert: Mit der Ideologie des Rassismus und des Nationalismus sowie der Demütigung der Multi-Kulti-Gesellschaft, des modernen Feminismus und der sexuellen Diversität wurden die «angry white men» (und natürlich auch «angry white» Frauen) direkt angesprochen. Dazu entzündet Trump mit seinen regelmäßigen Verstößen gegen die «political correctness» eine Energie, die den «blue collar» Männern und Frauen wieder eine Stimme gibt.
Für Trump selbst wurde nun auch die Politik endlich ein guter Deal: seine Aufmerksamkeit wächst und er genießt die mediale Präsenz. Zusätzlich merkt er, dass er reelle Chance hat, zu gewinnen.
Mit der Hilfe von Bannon schafft es Trump, für die unzufriedenen und gedemütigten Amerikaner zu einer perfekten Projektionsscheibe zu werden. Damit gewinnt Donald Trump knapp die Wahl und siegt auf ganzer Linie: Endlich befriedigt er die unstillbare Sucht nach Ruhm seines verinnerlichten Vaters, der wie schon sein Vater Fred Sr. vor ihm versuchte, aufzusteigen und nicht mehr ein einfacher Einwanderer, sondern ein «King». Donald selbst ist nicht mehr die zweite Wahl seines Vaters, sondern ist als Präsident ein würdiger Nachfolger und bekommt in seinem Amt nun Aufmerksamkeit und Anerkennung, die er verdient. Steve Bannon ist natürlich nur der Steigbügelhalter und hat seine Pflicht erfüllt. Kurz nach der Wahl ist er für Trump wertlos und wird entlassen.
Solch ein Vorgehen, um ein Ziel zu erreichen, passt genau zu einem sozialisierten Psychopathen – hier sind alle drei zuvor beschriebenen Eigenschaften vereint. Dies ist der Beweis für die Wirkung der Introjekttheorie und verweist gleichzeitig auf das Folgeproblem: mit der Wahl zum Präsidenten ist der verinnerlichte Vater nicht still und auch das Falsche Selbst wird nicht einfach durch ein Wahres Selbst ersetzt. Jetzt muss Donald Trump die Nummer Eins bleiben und dafür unternimmt er einige Anstrengungen.
Bereits die Inauguration als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist ein Skandal: Es entsteht eine Kontroverse zwischen der Regierung Trump und den amerikanischen Medien über die Anzahl der Teilnehmer an den Feierlichkeiten. Zum festlichen Akt werden 1.5 Millionen Zuschauer erwartet, es kamen nur 40.0000. Bei Barack Obamas Inauguration sind dagegen 1.8 Millionen Menschen. Viele Fotografien beweisen dies. Für Donald Trump aber ist es die größte Inauguration die Amerika je gesehen hatte und die Medien, die den Sachverhalt korrekt darstellten, bezichtigte er der Verbreitung von «Fake News» (Spiegel, 2018). Mit dieser Schmach hat Donald seinen innerlichen Vater enttäuscht und nun muss er lügen und andere beschuldigen, um dies zu kompensieren. Das enttäuschte Vaterintrojekt muss beruhigt werden. Egal was Medien oder Fotos sagen, oder wie irre sich das für andere anhört.
Wie ein roter Faden zieht sich dieses Verhalten, dass einem unflätigen Kinderverhalten gleicht, durch seine Präsidentschaft. Trump verbreitet Lügen, wenn er mit Fakten konfrontiert wird. Vorwürfe prallen an ihm ab. Er ist immer das Opfer und die anderen miese Verfolger. Michael Wolff in Feuer und Zorn (Wolff, 2018) und Bob Woodward in «Furcht» (Woodward, 2018) haben jeweils über die Arbeit von Donald Trump als Präsident im Weissen Haus einen Eindruck vermittelt. Ihre Beispiele zeigen, wie egozentrisch, herrisch und dominierend Trump als sozialisierter Psychopath sein Unwesen treibt: Er betrachtet die Führung der USA als die Leitung einer Firma und er benimmt sich wie ein Geschäftsmann. Er besetzt Posten mit seiner eigenen Familie, die Beziehung zu seinen Beratern ist katastrophal. Er ist komplett beratungsresistent. Jegliche Tätigkeiten, die mit Wissenschaft zu tun haben, hasst er, und er schafft sie ab. Seine kurze Aufmerksamkeitsspanne lässt ihn einfach Dokumente unterschreiben, ohne sie zu lesen. Überhaupt bequemt er sich nur eine Akte zu lesen, wenn pro Seite mindestens 20-mal sein Name erwähnt wurde (Wolff, 2018 & Woodward, 2018).
In der Rolle des Präsidenten hat Trump das optimale Revier gefunden, sein anomales Verhalten auszuleben. Es gibt nun gar keinen eigenständigen Donald Trump mehr, sondern nur noch die Inkarnation der grössenwahnsinnigen Phantasien seines Vaters Fred Trump Jr. Das dramatische an der Situation ist, dass dieser Donald Trump zwar von seinem Vater gelenkt wird, aber nicht mehr zur Strafe in die Militärakademie geschickt werden kann. Nun ist das ungezogene, überaus manipulierte Kind biologisch erwachsen geworden und der mächtigste Mann der westlichen Welt. Diese Kombination ist höchst gefährlich. Besonders in der Krise – wie jetzt, angesichts einer globalen Pandemie, oder der Ermordung von George Floyd – zeigt sich Trumps Unfähigkeit, ein Land zu führen. Und damit ist die kommende Wahl die Chance, sich dem sozialisierten Psychopathen zu entledigen. «America First» ist eigentlich «Fred Jr. First». Von alleine wird dieser und damit auch Donald nicht abtreten.
Schlussbemerkungen
Wenn im November 2020 in den USA wieder gewählt wird, ist es noch nicht sicher, ob Donald Trump noch einmal eine Amtszeit weiterpoltern kann. Dafür ist die amerikanische Gesellschaft immer noch zu stark gespalten, und Donald Trump ist immer noch eine hervorragende Projektionsscheibe für Millionen unzufriedener Amerikaner.
Grundsätzlich kommt es sehr oft vor, dass Menschen durch ihre Eltern kolonisiert werden und ihr Selbst aufgeben müssen. Aber nicht alle werden Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und erhalten die Chance, so viel Macht in den Händen zu halten.
Ein Zeichen von Erwachsensein ist es, wenn es uns gelingt, uns im Laufe unserer psychischen Entwicklung aus der Verstrickung mit unseren Eltern zu befreien. Die Introjekte werden wir nie los, aber unsere Beziehung zu ihnen verändert sich. Wir sprechen als Erwachsene mit ihnen und der Einfluss der Eltern auf unser gegenwärtiges Leben sinkt gegen Null. Leider ist Donald Trump von seinem Vater aufgrund dessen Minderwertigkeitsgefühlen von klein auf total vereinnahmt worden, und ist als Person verschwunden. Er stellte sich komplett in den Dienst seines verinnerlichten Vaters und ist vom gekaperten Opfer zum gefährlichen, destruktiven Täter geworden.
Der Text hat das Ziel, an einem hochprominenten Beispiel aufzuzeigen, wie immens der biografische und sozio-kulturelle Kontext Anteil an einer psychischen Störung hat und wie wichtig es ist, diese Faktoren in eine Therapie miteinzubeziehen. Zweitens soll vermittelt werden, wie elementar die Entwicklung eines Wahren Selbst für einen Menschen ist und welchen Einfluss – positiv wie negativ – dabei die primären Bezugspersonen haben können. Und final, welche Auswirkungen negative Introjekte noch für biologisch erwachsene Menschen haben und wie diese dann nie in der Lage sind, ein autonomes, freies und selbstbestimmtes Leben zu führen.
Referenzen
Bowlby, J. (2016). Bindung. (1st Edition). Berlin: Ernst Reinhardt Verlag.
D´Antonio, M. (2016). Die Wahrheit über Donald Trump. (1st Edition). Berlin: Econ.
Dutton, K. (2013). Was man von Heiligen, Anwälten und Serienmördern lernen kann. DTV Verlagsgesellschaft.
Kernberg, O. F. (2009). Borderline-Störungen und pathologischer Narzissmus (18th Edition). Berlin: Suhrkamp.
Kimmel, M. (2015). Angry White Men. Die USA und ihre zornigen Männer (1st Edition). Zürich: Orell Füssli.
Richter, E. H. (1975). Eltern, Kind, Neurose (34th Edition). Hamburg: Rowohlt.
Watkins, H., Watkins J. G. (2019), Ego-States. Theorie und Therapie. Ein Handbuch. (4th Edition). Heidelberg: Carl-Auer Verlag.
Winnicott, D. W. (2014).Vom Spiel zur Kreativität (14th Edition). Stuttgart: Klett-Cotta.
Wolff, M. (2018). Feuer und Zorn. Im Weissen Haus von Donald Trump. (5th Edition). Hamburg: Rowohlt.
Woodward, B. (2018). Furcht: Trump im Weissen Haus. (2nd Edition). Hamburg: Rowohlt.
Online Quellen
CNN Youtube (2016). Trump´s uncensored lewd comments about women from 2005. URL: https://www.youtube.com/watch?v=FSC8Q-kR44o. abgerufen am 04.08.2020.
Spiegel (2018). USA Behörde hat Fotos nachträglich bearbeitet. URL: https://www.spiegel.de/politik/ausland/amtseinfuehrung-von-donald-trump-fotos-wurden-von-behoerden-bearbeitet-a-1227163.html abgerufen am 04.08.2020.
Trump, D. J., (2012) via Twitter @realDonaldTrump. URL: https://twitter.com/realDonaldTrump/status/265895292191248385?s=20. abgerufen am 04.08.2020.
Trump, D. J. (2020) in einem Pressebriefing. URL:
https://www.srf.ch/news/international/immer-schon-gewusst-15-trump-zitate-ueber-die-corona-krise. abgerufen am 04.08.2020.
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