Das Streben nach Autonomie ist wie der Weg aus dem Schatten an die Sonne – Eine schmerzhafte Auseinandersetzung mit der Dominanz seiner Eltern

1. Der Unterschied zwischen Autonomie und narzisstischer Selbstoptimierung

Dank den eingehenden Untersuchungen und Forschungen des bekannten Soziologen und Psychoanalytiker Martin Dornes, der in seinem berühmten Buch „Der kompetente Säugling", eingehend beschreibt, wie der Säugling schon über Verhaltenskompetenzen verfügt, die wir früher nicht gekannt hatten, wissen wir heute, dass der Säugling nicht total hilflos ist. Er ist aber darauf angewiesen, dass seine sozialen Bezugspersonen richtig auf sein Verhalten reagieren können.

Es sind genetisch bedingte Anlagen, die den Säugling befähigen, unmittelbar nach seiner Geburt sich auf den beschwerlichen Weg zu machen, Autonomie, Eigenständigkeit zu entwickeln. Verfolgt man die psychische Entwicklung des Menschen, dann weist jeder Entwicklungsschritt darauf hin, wie der Mensch sich bemüht, seine Autonomie zu entwickeln. Nur wenn er diese Kompetenz entwickelt, dann ist er auch in der Lage, sein angeborenes Potenzial in seiner Weise zu entwickeln.

So wissen wir heute, es ist der Fötus, der die Wehen und die Geburt auslöst. Das Neugeborene wird durch die Trennung der Nabelschnur von der Mutter getrennt und muss nun eigenständig atmen, nur so hat es die Chance zu überleben.

Sofort nach der Geburt werden genetisch bedingte Verhaltensmuster aktiviert, um die Trennung von der Mutter auszugleichen. John Bowlby hat in seinen Forschungen die Bindungstheorie entwickelt. Der neugeborene Säugling gestaltet die Beziehung zu seiner Mutter durch Bindungsverhalten. Dazu benutzt er ganz bestimmte Verhaltensmuster, die bei der Mutter im Gehirn den Transmitter Oxitozin ausschütten, das Beziehungshormon. Diese aktive Beziehungsaufnahme des Säuglings nennt man Attachment, die Reaktion der Mutter Bonding. Durch sein Bindungsverhalten motiviert er die Mutter, sich in ihre neue Rolle einzuleben. Es entsteht eine Bindung zwischen Mutter und Kind, die dem Säugling Sicherheit und Geborgenheit gibt. Weiter ist eine gute Bindung die Voraussetzung dafür, dass der Säugling wichtige Gene exprimiert, d.h. ausbildet. Man nennt die Ausbildung einer guten Bindung eine epigenetische, umweltbedingte Erfahrung für den Säugling. Ich möchte ein sehr wichtiges Beispiel erläutern, wie dieser epigenetische Prozess auch die Autonomie des Säuglings fördert:

Wir wissen, dass wir alle ein Antistressgen besitzen. Dieses Gen entfaltet seine Wirkung nur, wenn wir eine gute Bindungserfahrung machen. Am Anfang nach der Geburt ist der Säugling ausnahmslos auf das beruhigende Verhalten der Mutter angewiesen, ja geradezu abhängig. Für den Säugling bedeutet Stress, wenn er hilflos seinen Emotionen ausgeliefert ist und noch nicht in der Lage ist, diese selbst zu steuern. Die Mutter hat am Anfang die Aufgabe, die Emotionen des Säuglings zu moderieren. Ist die Bindung gut, dann wird ein Antistressgen des Säuglings exprimiert, das immer mehr die Emotion ausgleichende Funktion der Mutter übernimmt. Dem Säugling gelingt es zunehmend, seine Emotionen selber zu regulieren und er entwickelt eine Stresstoleranz. Dies ist eines von vielen Beispielen, wie sich der Säugling immer mehr von Anfang an von der Mutter ablöst und autonom sein Seelenleben in die eigenen Hände nimmt. Zuerst läuft dieser Prozess unbewusst ab, nonverbal und nicht kognitiv.

So kann man feststellen, dass jeder psychische Entwicklungsschritt immer auch im Dienste der Autonomie geschieht.

Das auffälligste Beispiel in der psychischen Entwicklung ist die Pubertät. Das Gehirn des Jugendlichen baut sich komplett um. Die Ablösung von den Eltern findet radikal statt. Das ganze Gehirn stellt sich darauf ein, dass der Jugendliche den Weg zum erwachsen werden beschreitet. Die Ablösung kann sich unter extremen Streitigkeiten abspielen, oder sie nimmt einen unspektakulären normalen Verlauf. Aber Auseinandersetzungen mit den Eltern sind gegeben. Es kommt dann darauf an, wie die Eltern zur Ablösung ihrer Kinder stehen.

Die Entwicklung von Autonomie hat nichts mit Egoismus zu tun, sondern ist die Kompetenz, eigene Entscheidungen zu treffen und selbständig sein Leben zu gestalten. Die Autonomie ermöglicht erst einen sozialen Austausch, weil ich durch das Erwerben einer Autonomie ein gesundes Selbst entwickle. Ich bin auch in der Lage, eigenverantwortlich zu leben.

Heute wird in den Medien immer wieder die Selbstoptimierung gelobt und gefeiert oder aggressiv als narzisstisches Verhalten angegriffen. Bei der Selbstoptimierung handelt es sich tatsächlich um eine neue Spielart der narzisstischen,gestörten Verhaltensweise. Meine Wirkung nach aussen wird mein totaler Lebensinhalt. Von aussen aufgezwungene Verhaltensweisen werden gedankenlos verinnerlicht und so entsteht eine falsche Identität. Gleichsam schleicht sich eine permanente Angst ein, den Anforderungen der Aussenwelt nicht mehr gerecht zu werden. Man befindet sich in einem Teufelskreis und sofort bricht die existenzielle Katastrophe aus, wenn ich nur ein klein wenig von den äußeren Anforderungen abweiche. Neben den narzisstischen Phänomenen entwickelt sich die Selbstoptimierung zu einer waschechten Zwangsstörung. Mein falsches Selbst ist aufgebaut auf der Grundlage von Gefügigkeit. Die Bedürfnisse, ja Anforderungen der Aussenwelt werden zu meinen eigenen Bedürfnissen und ich glaube am Schluss, dass ich echt und authentisch bin.

Diese narzisstische Selbstoptimierung ist das genaue Gegenteil der genetisch angelegten Autonomieentwicklung.


2. Wenn die Entwicklung zur Autonomie behindert wird

Ich habe bereits erläutert, dass wir unsere Autonomie nur mit Hilfe von sozialer Unterstützung entwickeln können. Misslingt am Anfang des Lebens die Herausbildung einer gesunden Bindung, werden unsere Autonomiebestrebungen behindert oder gar unterdrückt, dann entwickeln wir ein Anpassungsverhalten und entwickeln ein falsches Selbst. Wir verinnerlichen die Bedürfnisse der Aussenwelt und glauben, dass wir tatsächlich unsere eigenen Bedürfnisse leben.

Ich möchte als Beispiel eines gelungenen Autonomieprozess meine eigenen Erfahrungen mit meinen Eltern beschreiben. Es ist ein extremes Beispiel, weil meine Mutter als Psychologin eine weltweit sehr berühmte Kapazität und Schriftstellerin war. Meine Beziehung zu meiner Mutter war von Anfang an total gestört und dieser Konflikt hing sehr eng mit ihren Erfahrungen als Jüdin, die den Krieg in Warschau überlebt hatte, zusammen. Neben der Problematik, der Sohn einer weltberühmten Mutter zu sein, wo man im Schatten dieser Berühmtheit mühsam überleben musste, war ich von den Folgen der unbewältigten Kriegserfahrungen meiner Mutter und meines Vaters betroffen. In diesem Video werde ich beschreiben, wie ich meine Individualität durch konsequentes Streben nach Autonomie im Schatten meiner berühmten Mutter und meines gewalttätigen Vaters entwickeln konnte.

Mir ist bei dieser Thematik aufgefallen, dass es den wenigsten Kindern berühmter Eltern gelungen ist, ihre eigene Autonomie zu entwickeln. Entweder man bleibt ein kleines Anhängsel, quasi man existiert als Appendix des berühmten Elternteils, oder man wird ein glühender Verehrer der Berühmtheit und versucht, sich narzisstisch von der bewunderten Position seiner Eltern wie eine Biene zu ernähren, oder man rebelliert und wird dann auch berühmt, indem man durch Skandale die nötige Aufmerksamkeit erheischt. Diese extremen Umstände erschweren einen Autonomieprozess erheblich. Extreme Beispiele wie diese haben den Vorteil, dass sich viele Menschen in ihrer eigenen Bestrebung nach Autonomie und den damit verbundenen Schwierigkeiten, verstanden fühlen.

Ich muss zugeben, dass ich erst nach dem Tode meiner beiden Eltern den Mut fand, aus der Deckung hervorzukommen. Alle Anstrengungen, meine Autonomie unabhängig von der berühmten Mutter zu entwickeln, diese Hoffnung musste ich aufgeben. Auch heute werde ich immer wieder mit dem Schatten meiner Mutter konfrontiert. Dazu möchte ich folgende Begebenheiten schildern.

Wenn ich mich irgendwo vorstelle, dann werde ich sofort mit folgenden Worten begrüßt: "Ah Sie sind nun der Sohn von der berühmten Alice Miller." Meine Person ist dann in dem Moment nicht mehr wichtig und interessant, sondern ich bin das praktische Medium, um mehr von der berühmten Alice Miller zu erfahren. Halte ich einen Vortrag, dann ist es für den Veranstalter besonders wichtig, auf dem Plakat anzukünden, dass der Sohn der berühmten Alice Miller auftritt¡. Dann ist der Veranstalter sicher, dass genügend Zuschauer die Veranstaltung besuchen. Mit dieser Realität muss ich leben und der Versuch, dieses sozialpsychologische Muster außer Kraft zu setzen, ist eine grosse Herausforderung, die oft unterschätzt wird. Positiv ist dann für mich die Erfahrung nach der Veranstaltung, weil es mir während der Veranstaltung jeweils gelingt, mich klar von meiner Mutter abzugrenzen und jedem im Saal wird es klar, dass ich eine eigenständige Person bin, die auch etwas zu sagen hat.

Auf dem Weg des Ablösungsprozesses ist mir bewusst geworden, dass ich mit zwei Geschichten konfrontiert wurde, die sich ergänzen.

Die eine ist meine biographische Erfahrung. Ich bin nämlich in den grauenhaften Schatten des zweiten Weltkrieges hineingeboren worden. Ich bin im Krieg aufgewachsen, ohne je zu wissen, um was es geht.

Ich wurde ein Opfer der transgenerationalen Vererbung, die die Kriegserlebnisse meiner Eltern reflektierte. Ich wurde der verfolgte Jude in Warschau und es dauerte Jahrzehnte, bis ich mich aus diesem kriegerischen Schatten befreien konnte.

Die zweite Geschichte handelt von meiner Konkurrenz mit meiner Mutter als Psychotherapeut. Meine Mutter bekam Angst, ihren berühmten Rang in der Öffentlichkeit zu verlieren, wenn ich als Therapeut meinen eigenen Weg gehen würde. An meiner Geschichte möchte ich aufzeigen, dass es auch unter ungünstigen und belastenden Umweltbedingungen möglich ist, seine Autonomie zu entwickeln und diese auch zu bewahren. Entscheidet man sich für Autonomie, muss man leider auch Opfer bringen.


a) Der brutale Kriegsschatten meiner Eltern

Ich bin in eine seelisch schwer belastete Ehe hineingeboren worden. Meine beiden Eltern sind nach dem Krieg zu Studienzwecken 1947 aus Polen in die Schweiz gezogen. Dort studierten sie Psychologie und Soziologie in Basel. Dann ließen sie sich in der Schweiz nieder und heirateten.

Meine Mutter war Jüdin und hatte den Holocaust in Warschau im Untergrund überlebt. Sie stammte aus einer orthodoxen jüdischen Familie und wuchs in Piotrkov, einer Kleinstadt, südlich von Lodz auf. Ihr Großvater, Abraham Englard war das Oberhaupt des Familienclans. Er besaß ein Eisenwarengeschäft und war sehr begütert. Er gehörte zur Minderheit der streng orthodoxen Juden, die ihr eigenes Leben lebten. Sie sprachen nicht polnisch, sondern Jiddisch. Ihr Großvater Abraham Englard war auch als Rabbiner sehr bekannt und galt als grosse Autorität. Er war der gütige Patriarch eines Clans, in den meine Mutter hineingeboren wurde. Er hatte fünf Kinder, zwei Söhne und drei Töchter. Alice Vater war der drittälteste und war sehr religiös. Er war aber beruflich nicht erfolgreich und wurde von meiner Mutter nicht gross respektiert. Sie stritt sich immer mit ihm wegen der strengen jüdischen Gesetze. Ihr Vater hiess Meylech und wurde von seinem Vater mit einer Frau aus dem Nachbardorf verheiratet. Die Ehe war sehr schlecht und meine Mutter litt stark unter der autoritären und bisweilen gewalttätigen Erziehung ihrer Mutter.

Meine Mutter setzte sich durch, dass sie die polnische Schule besuchen durfte und nicht in die jüdische Schule musste. Alice wird von ihren Verwandten als ein sehr schwieriges Kind beschrieben. Immer zog sie sich mit ihren Büchern zurück und wirkte auf die anderen sehr arrogant. Sie wusste immer alles besser und spielte gerne in Auseinandersetzungen ihre brillante Intelligenz aus.

Als 1939 der Krieg ausbrach und die Deutschen Polen überfielen und besetzten, wurde in Piotrkov das erste Getto errichtet. Meine Mutter kam mit einem grossen Teil ihrer Familie dorthin. Alice war damals 16 Jahre alt und schaffte es sofort, mit der Untergrundorganisation im Getto Kontakt aufzunehmen. Dadurch verschaffte sie sich einen falschen Pass und wurde Polin. Von da an hiess sie bis zu ihrem Tode Alice Rostovska. Sie konnte aus dem Getto nach Warschau flüchten und auch für ihre Mutter und Schwester Irena falsche Papiere besorgen und diese retten. Ihren Vater musste sie im Getto zurücklassen, weil er als orthodoxer Jude nur Jiddisch sprach und wegen seines Aussehens nie außerhalb des Gettos überlebt hätte. Er starb krank und verlassen im Getto von Piotrkov. Ihre Schwester versteckte sie in einem Kloster. Ihre Schwester wurde aus Überlebensgründen gezwungen, den katholischen Glauben anzunehmen. Ihre Mutter versteckte sie auf dem Lande.

Alice selber tauchte im aarischen Teil Warschaus unter und schloss sich dem jüdischen Untergrund an. Sie betrieben in verschiedenen Häusern eine Untergrunduniversität. Nebenbei unterrichtete sie weiter Polen und musste dauernd Angst haben, von polnischen Gestapoerpressern als Jüdin erkannt zu werden.

Meine Mutter erzählte nie etwas über ihre Erfahrungen im Krieg. Meistens waren es Episoden, die so verfremdet waren, dass man eh nie verstand, was eigentlich passierte. Erst vor Kurzem gelang es mir, die verborgene Kriegsgeschichte meiner Mutter zu rekonstruieren und aufzudecken.

Ich als ihr Sohn habe nie nachgefragt, denn ich habe instinktiv gespürt, dass meine Mutter weitere Fragen nicht duldete. Einmal passierte ihr eine Fehlleistung. Es ergab sich die rare Gelegenheit, dass meine Mutter über ihre Kriegserlebnisse vage erzählte. Plötzlich offenbarte sie mir ein Geheimnis, von dem ich völlig überrascht wurde und leider nicht wagte, in der Hitze des Gefechtes, nachzufragen. Sie sagte: „Übrigens, der Mann, der mich im Namen der Gestapo erpresste, hatte den gleichen Namen wie dein Vater, er hiess nämlich Andreas Miller." Erst Jahre später, als ich die Biographie meiner Mutter schrieb, begann ich zu ahnen, was mir da meine Mutter verriet. Mein eigener Vater war also der Naziverbrecher, den meine Mutter nach dem Krieg nicht mehr los wurde. Es war Zufall, aber Andreas verliebte sich in die Jüdin Alice, und so konnte meine Mutter durch Kooperation den Krieg überleben. Trotzdem hörte mein zukünftiger Vater mit den Verfolgungen nicht auf, denn er musste ja seinen Lebensunterhalt mit diesen Verbrechen verdienen. Meine Mutter kooperierte aus Überlebensgründen mit ihm. Sie wurde ein klassisches Opfer des Stockholmsyndroms.

Meine Mutter flüchtete nach dem Warschauer Aufstand mit ihrer Schwester auf die russische Seite. Dort stand die russische Rote Armee von Stalin und verriet das polnische Volk gegenüber den Deutschen. Sie arbeitete in einem Lazarett und ich kann mir vorstellen, dass sie die schlimmsten Sachen gesehen haben musste, die ebenfalls traumatische Spuren hinterließen. Nach dem Krieg kehrte sie mit ihrer Schwester und ihrer Mutter nach Piotrkov zurück. Was für eine schlimme Erfahrung war diese Rückkehr. Niemanden trafen sie mehr, den sie kannten. Alle Juden waren getötet worden. Ihre Familie überlebte, verstreut in der ganzen Welt, der größte Teil wurde in Treblinka oder im Getto getötet. So beschloss sie, mit ihrer Schwester in Lodz zu studieren. Sie meinte zuerst, dass sie den Erpresser los geworden wäre, aber Andreas hatte herausgefunden, wo meine Mutter sich aufhielt und so studierte er auch in Lodz.

Ich kam 1950 auf die Welt und wurde sofort von meinen Eltern an eine Bekannte weggegeben. Zufälligerweise rettete mich die Tante meiner Mutter, Tante Ala, die mit ihrer Familie in die Schweiz vor den Stalinisten floh, weil Stalin die Losung herausgab, alle Juden weiter zu verfolgen. Ich fühlte mich bei der Bekannten meiner Eltern überhaupt nicht wohl und schrie dauernd.

Tante Ala hielt diese Quälerei und Lieblosigkeit dieser Bekannten nicht aus und entschied spontan, mich zu sich nach Hause zu nehmen. Sie schritt zur Tat, ohne meine Mutter um Erlaubnis zu bitten. Ihre Tochter Irenka und die Tante meiner Mutter sorgten die ersten sieben Monate für mich und ich entwickelte mich prächtig. Offiziell behauptete meine Mutter, dass ich sie stören würde, wenn sie ihre Dissertation schreiben müsste. Ich wäre ihr dann im Wege, wenn ich meine kindlichen Bedürfnisse anmelden würde. Mir erzählte meine Mutter auch immer diese Geschichte. Mit meinem heutigen Wissen weiss ich, dass mich meine Mutter angelogen hatte. Sie schrieb mit meinem Vater zusammen, frisch verheiratet, die Dissertation. Wie schrecklich musste es für meinen Vater sein, der ein überzeugter Nazi war, einen jüdischen Sohn zu haben. Ich bin heute überzeugt, dass er meine Mutter gezwungen hatte, mich wegzugeben. Denn meine Mutter hat mir nie erzählt, dass ich für sie kein Wunschkind gewesen wäre. Irgendwann hielt es meine Mutter nicht mehr aus, vom Kind getrennt zu sein und ich wurde brutal von meinen Bezugspersonen durch meine Mutter getrennt. Für mich war diese Trennung ein lebenslanges Trauma, das ich nie überwinden konnte. Meine Mutter und ich schafften es von da an nie, eine herzliche und liebevolle Beziehung aufzubauen, denn die Trennung der ersten Monate konnte nie kompensiert werden. Alle Konflikte mit meiner Mutter waren durch diese Trennung geprägt. Heute bin ich überzeugt, dass mein Vater gehofft hatte, dass ich bei dieser Bekannten an Vernachlässigung sterben würde, was aber nicht geschah. Dass ich ihm den Gefallen nicht machte, als Jude abzutreten, bekam ich von Seiten meines Vaters mein Vergehen des Überlebens später zu Genüge zu spüren. Ich wurde auf die schlimmste Art geschlagen, verfolgt, gedemütigt und richtiggehend bei jeder Gelegenheit gequält. Leider habe ich mich nie in meinem Leben gegen diese Behandlung gewehrt, ich war aber auch immer alleine, niemand hat mir später gegenüber diesem sadistischen und gewalttätigen Vater geholfen.

Ich kam also in eine kriegstraumatisierte Familie und der dunkle Schatten des Krieges kam über mich. Da sich die brutale Beziehung meiner Eltern aus dem Kriege erhalten hatte, wurde ich ein Opfer transgenerationaler Vererbung. Mein Vater, immer noch überzeugter Antisemit und Nazi, tyrannisierte mich das ganze Leben. Ich wurde der verfolgte Jude in der Familie. Er schlug mich regelmäßig halb zu Tode, meine Mutter verteidigte mich nie, hatte sie doch dieselbe Angst wie im Kriege. Sobald ich gegen den Willen meines Vaters überlebte, errichtete er dieselbe Konstellation zusammen mit meiner Mutter wie im Krieg.

Später habe ich oft meine Mutter gefragt, wie sie sich den Widerspruch erklärte, dass sie mich vor den Schlägen meines Vaters nie geschützt hätte, aber sich später als die heldenhafte Anwältin für geschlagene Kinder darstellte. Ich bekam nie eine Antwort, nur Vorwürfe seitens meiner Mutter, sie immer wieder für etwas zu beschuldigen, was sie nie gemacht hatte.

Ich habe in meiner Familie praktisch die ganze Palette von Demütigungen und Verfolgung durchlitten, welche das jüdische Volk im Krieg erlebt hat. Ich habe keine klassische Identität als Jude, Feiertage sagen mir nichts, aber das Gefühl der Verfolgung, das dieses Volk erlebt hatte, das kenne ich bestens und das ist heute zu einem wichtigen Teil meine Identität als Jude geworden.

Unter diesen Bedingungen war es mir unmöglich, meine Möglichkeiten frei zu entfalten. Ich wurde ein Opfer von schlimmen Projektionen.

Ich wurde auch indirekt der Beschützer meiner Mutter. Sie hatte zwar Angst vor meinem Vater, ihrem ehemaligen Erpresser, aber ich opferte mich gleichsam für sie. Ich musste nicht nur ein Leben im kriegsbelastenden Polen leben, sondern dieser Schatten war verseucht.

Sehr oft habe ich später als Psychotherapeut in der täglichen Arbeit erfahren, wie Eltern ihre Kriegstraumata abspalteten und ihre Opfererfahrung total auf ihre Kinder übertragen und damit projiziert haben. Dem Kind wurde eine falsche Identität aufgezwungen und die Eltern bemühten sich krampfhaft, jeden Versuch des Kindes zu unterbinden, sich aus dieser erzwungenen Identität zu lösen. Als Kind wird man dann mit den unheimlichen Ängsten der Eltern konfrontiert, weil die Eltern zu Recht befürchten, ihren abgespaltenen Teil wieder leben zu müssen, wenn das Kind sein Recht auf Autonomie geltend macht. Ich wurde nicht nur physisch von meinem Vater gequält, sondern die psychischen Demütigungen waren noch viel schlimmer. Wenn ich in der Schule Schwierigkeiten hatte, oder auch nur bei den Aufgaben war, nahm er diese Situation als Anlass, mich zu demütigen und zu schlagen. Immer fand er eine Begründung, sich im Recht zu fühlen, sich so zu benehmen. Ich wurde auf den Kopf geschlagen und er schrie mich an, dass ich der letzte Dreck wäre und aus mir nur ein Versager im Leben werden würde. Diese Behandlung fand jeden Tag statt. Wenn ich einmal für mich sein wollte, dann störte mich mein Vater sofort und befahl mir, endlich mich für die Schule einzusetzen und nicht so ein Faulpelz zu sein. Auch wenn ich die Aufgaben schon gemacht hatte, es nützte nichts. Am Tisch wurde ich fortwährend von ihm kontrolliert. Er befahl mir dauernd, wie ich zu essen hatte und vor allem was ich essen durfte. Ich hatte eine Schwester mit Downsyndrom. Beide meine Eltern benutzten meine Schwester wie eine Waffe gegen mich. Wenn ich irgend etwas erzählen wollte, dann wurde ich von meiner Schwester unterbrochen. Wehrte ich mich dagegen, dann kam die Antwort meines Vaters sofort: "Du bist doch normal und sie ist geistig zurückgeblieben." Ich entwickelte gegenüber meiner Schwester einen abgrundtiefen Hass, behielt diese Gefühle aber für mich. Heute ist mir klar, dass dieser Hass eigentlich vorwiegend meinen Eltern, die mich plagten,galt, aber es ist auch typisch, dass man seinen Hass gegenüber den Schwächsten verspürt. Auch da hatte sich mein Vater als lupenreiner Nazi entpuppt. Er hat mich dermaßen gegenüber meiner Schwester manipuliert, dass ich völlig überzeugt war, dass geistig behinderte Menschen unwertes Leben sind. Er schaffte es, mich nicht nur zum verfolgten Juden zu machen, sondern auch zum rassistisch fühlenden Nazi. Später machte mir dann meine Mutter immer wieder Vorwürfe, wie ich meine Schwester als unwertes Leben ablehnen würde. Die Zusammenhänge verstehe ich heute, aber damals nicht.

Meine Eltern schlossen mich auch gegenüber ihren Bekannten aus. So zelebrierten meine Eltern ein typisches Sozialleben einer intellektuellen Elite. Sie veranstalteten mit Freunden Hölderlin Abende, wo gescheit über den schwierigen, hoch gestörten Dichter diskutiert wurde. Ich wurde systematisch ausgeschlossen, wenn wir Besuch hatten. Sie zeigten mir deutlich, dass sie mit mir nichts zu tun haben wollten und dass ich für sie ein unwertes Leben darstellen würde. Jahre lang glaubte ich, dass meine Eltern ihre Migrationsproblematik in der Schweiz an mir ausleben würden. Erst spät, seit ich die Vergangenheit meiner Eltern herausfand, realisierte ich, dass ich nicht zum Vorzeigeschweizer in der eigenen Familie umfunktioniert wurde, sondern der verfolgte Jude in Warschau während des Krieges war. Meine Mutter vermied es peinlich, mich mit der jüdischen Kultur vertraut zu machen. Sie hatte einfach Angst, von ihrem Mann doch noch an die Nazis ausgeliefert zu werden und nach Treblinka deportiert zu werden. Diese Angst hat meine Mutter nie verloren. Ein typisches Indiz dafür, dass ich der verfolgte Jude in meiner Familie war, ist der Umstand, dass es mein Vater um jeden Preis verhindert hatte, dass ich Polnisch, meine Muttersprache lernen durfte. Man sagte mir immer, dass eine zweisprachige Erziehung für mich ein Nachteil sein würde, was ja ein völliger Unsinn ist. Meine Eltern redeten vor mir immer Polnisch, damit ich nichts verstand. Ich wehrte mich auch nie gegen dieses diskriminierende Verhalten. Heute weiss ich, dass orthodoxe Juden nie Polnisch sprachen und nur Jiddisch. Irgendwie tönt ja das für fremde Ohren wie Schweizerdeutsch.


b) Der langsame und schmerzhafte Ausbruch aus dem Kriegsschatten

Ich habe natürlich unbewusst auch etwas von meiner Mutter gelernt, nämlich, wie man sich versteckt und überlebt. Ich habe mit meinen Eltern nie über ihr Verhalten geredet. Ich habe mich nie gewehrt, aber ich habe innerlich mich von ihnen meilenweit entfernt. Ich lebte ein Eigenleben. Wie es in mir aussah, das zeigte ich nie. Ich begann alle meine Bedürfnisse heimlich zu befriedigen. Ich wurde so geschickt, dass sie mich praktisch trotz schlimmer Kontrolle nie erwischten. Mit 17 Jahren ergab sich für mich schulisch die Gelegenheit, dass ich in ein katholisches Internat ziehen konnte. Ich war so begeistert, dass ich endlich dieser Hölle entfliehen konnte. In diesem Internat herrschten sehr strenge katholische Regeln und Vorschriften. Viele meiner Mitschüler beklagten sich über dieses repressive Klima. Ich schrieb aber meiner Mutter einmal in einem Brief: „Liebe Mami, ich fühle mich hier wie im Paradies. Ich war noch nie so frei in meinem Leben, und ich bin froh, nicht mehr zu Hause zu wohnen. Dies war ein schlimmes Gefängnis für mich." Meine Mutter war total schockiert über den Brief und konnte die Welt nicht mehr verstehen. Ohne es zu merken, wurde ich von meiner Mutter, sie wählte das Internat aus, wie ihre Schwester und Mutter in einem katholischen Kloster vor meinem Nazivater gerettet. Natürlich schaffte es mein Vater, mich einmal in der Woche zu treffen, um zu kontrollieren, ob ich auch wirklich in der Schule arbeitete. Für mich waren diese Begegnungen die reinste Hölle.

Mir kommt da eine ganz besondere Geschichte in den Sinn, die meine Schilderung über das destruktive Verhalten meiner Eltern illustrieren kann. Mit aller Macht bemühten sich meine Eltern, dass ich auf jeden Fall die Maturität abschließen sollte. Ich habe dann ganz knapp die Prüfung im Internat geschafft. Als ich nun den Wunsch äußerte, an der Universität Psychologie und Soziologie, die Fächer meiner Eltern, zu studieren, da bekam ich den behindernden Gegenwind meiner Eltern gründlich zu spüren. Als ich meinem Vater in den Sommerferien nach dem Abitur meinen Wunsch darlegte, brauste er auf und bekam einen seiner typischen Wutanfälle. Er erhob schon wie früher seine Faust und wollte mich wie gewohnt schlagen. Plötzlich realisierte er, dass ich mittlerweile kein kleines Kind mehr war und ihm auf Augenhöhe gegenüberstand. Ich hob auch meine Fäuste und total schockiert stammelte er; „Willst Du allen Ernst Deinen armen Vater schlagen?" ich antwortete; „Wenn Du mich schlägst, dann schlage ich zurück." Seit diesem Vorfall schlug er mich nie mehr.

Aber er konnte mich auch anders fertig machen und dies tat er dann auch. Er brüllte mich mit seinem ganzen Hass an: „Was fällt Dir ein, so etwas von mir zu erwarten. Du bist der größte Dummkopf, den ich kenne. Wie kannst Du nur auf die abwegige Idee kommen, von mir zu verlangen, dass ich einem solchen Arschloch, einem totalen Versager wie du einer bist, ein Studium bezahle? Du hast ja nur mit Ach und Krach Deine Matura bestanden und jetzt bist Du so überheblich und willst, dass ich Dir ein Studium bezahle?" Ich war nach dieser Demütigung, dieser verbalen Gewaltorgie wie betäubt und war nicht in der Lage, für mein Recht einzustehen. In meinem späteren Leben machte ich mir wegen dieser Szene häufig Vorwürfe, denn ich hatte ein absolutes Recht darauf, dass mich meine Eltern in einem Studium unterstützen müssten, so stand es im Gesetz. Als ich kurz darauf mit meiner Mutter über diesen Vorfall sprach, hatte sie mich auch hängen lassen. Immer hatte sie über ihren Ehemann geschimpft und mir gezeigt, wie abgrundtief sie meinen Vater hasste. In dem Moment aber kooperierte sie wie im Krieg mit ihm. Sie gab mir folgende Antwort; „Du musst Deinen Vater verstehen, denn er hat sich so aufgeregt, als Du beinahe durch die Maturprüfung durchgefallen bist. Und überhaupt, ich bin da absolut seiner Meinung. Du bist in einem Studium zu überfordert und es würde nicht gut herauskommen, wenn Du jetzt beginnst zu studieren."

Ich entschloss mich dann, mich zum Volkschullehrer auszubilden und so wurde ich nach 11/2 Jahren unabhängig von meinen Eltern und verdiente mein eigenes Geld. Instinktiv realisierte ich, dass meine Eltern im Kontakt zu mir gefährlich sind und dass ich in meinem späteren Leben genau weiss, dass ich mich nie auf sie verlassen kann. Natürlich zog ich diese Erkenntnis nicht konsequent durch und wurde auch dafür brutal bestraft. So wurde ich Lehrer, arbeitete mit Kindern, aber meine Tätigkeit gefiel mir überhaupt nicht, denn mein Wunsch, als Psychologe zu arbeiten verschwand nicht. Einerseits hatte ich meine Unabhängigkeit, ich verdiente mein eigenes Geld, ich war zum Teil aus dem Kriegsschatten meiner Eltern entkommen, aber ich war sehr unzufrieden mit meiner Lebenssituation, vor allem meiner beruflichen. Diese Erfahrung zeigt auch deutlich, wie die Diskriminierung, wie diese Judenrolle, die meine Eltern mir aufzwangen, mich in meiner persönlichen Entfaltung total behindert hatte. Ich war ein unwissender verfolgter Jude. In der Schule, wo ich arbeitete, war ich ein grosser Außenseiter. Ich konnte mich in das Lehrerkollegium überhaupt nicht integrieren. Ich hatte mit den meisten Lehrerkollegen Krach und Streit. Auch mit den Behörden lag ich bald über Kreuz. Mir behagte das Angestelltendasein überhaupt nicht. Mit den Kindern verstand ich mich glänzend. Ich bekundete auch keine Probleme mit der Autorität als Lehrer. In diesen Jahren als Lehrer spürte ich immer mehr, welche Begabung als Psychologe in mir schlummerte und mein Wunsch, meinen beruflichen Traum zu verwirklichen, der wurde immer stärker, aber ich wusste noch gar nicht, wie ich diesen grossen Wunsch umsetzen sollte. 


c) Der Mut, eine eigene berufliche Karriere einzuschlagen und eigene Bedürfnisse zu leben. Ich verlasse den Schatten ganz, aber den Preis, den ich für diesen Ausbruch aus dem elterlichen Gefängnis habe bezahlen müssen, war unermesslich

Meine Eltern machten eine grosse berufliche Karriere. Mein Vater wurde Professor an der Hochschule St. Gallen und Vorsitzender der Schweizerischen Hochschulwesen. Er wurde der wichtigste Manager des schweizerischen Universitätswesens. Meine Mutter Alice Miller machte eine Ausbildung als Psychoanalytikerin und wurde Mitglied der renommierten Psychoanalytischen Gesellschaft in Zürich. Sie arbeitete in diesem Beruf selbständig während 25 Jahren. 1979 gab sie ihr erstes Buch, „Das Drama des begabten Kindes" heraus. Wider Erwarten wurde dieses Buch ein gigantischer Welterfolg. Meine Mutter wurde weltberühmt und ein Star. Besonders in Amerika machte sie eine unglaubliche Karriere. Sie gab ihren Beruf als Analytikerin auf und wurde Schriftstellerin und bezeichnete sich von da an als Kindheitsforscherin. Sie setzte sich fortan vehement für die Rechte der Kinder ein und griff die Eltern mit ihren brutalen Erziehungsmethoden heftig an. Meine Mutter war in all den Jahren eine mutige, aggressive Kämpferin für ihre Ideen und niemand wäre darauf gekommen, dass sie immer noch voller Ängste war.

Für mich wurde diese Veränderung meiner Mutter zu einemgrossen Problem. Als mich mein Vater so quälte und verfolgte, beschützte mich meine Mutter nie, während ihrer Karriere als Kindheitsforscherin verhielt sie sich so, wie wenn sie sich immer für verfolgte Kinder engagiert hätte. Ihr Schatten wurde für mich immer dunkler. Ich wurde von allen Lesern beneidet, dass ich eine so tolle Mutter hätte, aber in Wahrheit war die Bücher-Alice-Miller eine ganz andere Person als in Realität. Ich habe natürlich meine Mutter geschützt und zu dieser Lüge geschwiegen. Ich war zwar schon 30 Jahre alt, als meine Mutter ihre Weltkarriere startete. Aber ich werde im folgenden Teil des Videos auch beschreiben, wie Menschen, die so weltberühmt werden, ihre Persönlichkeit komplett verändern und am Schluss kannte ich meine Mutter gar nicht mehr. Neben solchen Menschen dann eigenständig seinen Weg zu gehen ist unendlich schwer. Wagt man dennoch dieses Risiko, dann wird man vom Leben fürchterlich bestraft. Ich kann heute die Menschen, die im Schatten ihrer berühmten Eltern stehen sehr gut verstehen, dass sie es nicht wagten, sich von den Eltern zu lösen.

Ich entschloss mich mit dreissig Jahren, selber Psychotherapeut zu werden. Anfangs versprach mir meine Mutter, mich zu unterstützen. Zuerst glaubte ich, dass der Ruhm meiner Mutter mir helfen würde, mich auch als Therapeut zu entfalten. So begann ich bald 1979 in eigener Praxis mit der Arbeit als Psychotherapeut. Gleichzeitig meldete ich mich an die Universität Zürich an und begann mit meinem Studium als Psychologe. Ich habe natürlich meine Eltern nicht um Erlaubnis gebeten. Meine Mutter reagierte völlig beleidigt auf mein Vorgehen. Sie machte mir folgenden Vorwurf: „Wieso willst Du studieren, wo sie Dir dort nur Blödsinn vermitteln. Alles Wissen kannst Du doch von mir bekommen." Diese Bemerkung erschreckte mich kolossal, denn da merkte ich zum ersten Mal, dass meine schon damals berühmte Mutter extreme Schwierigkeiten damit hatte, dass ich im gleichen Beruf wie sie einen eigenen Weg gehen wollte. Gleichzeitig wurde ich mit ihren enormen Machtansprüchen konfrontiert. Schon nach so kurzer Zeit hat sich ihre Realitätswahrnehmung total verdreht. Sie besaß als berühmte Alice Miller das Monopol des Wissens und alle anderen waren Trottel. Plötzlich kam ich mir vor wie wenn ich vor meinem Vater stehen würde. Er spielte sich immer so auf und verachtete alle Menschen. Meine Mutter lebte ihre Grandiosität total aus, obwohl sie in ihrem ersten Buch über den Narzissmus und das grandiose Verhalten von Narzissten brillant diese Störung beschrieben hat.

Sie war nicht mehr mein wichtigster Ansprechpartner. Schon ganz am Anfang begann ich den verführerischen, aber gefährlichen Schirm, den meine Mutter für mich aufspannen wollte zu erkennen und versuchte, so schnell wie möglich dieser Gefahr auszuweichen. Diese Flucht dauerte leider gute dreissig Jahre, denn ich war ganz alleine mit meiner Gefängnissituation konfrontiert.

Man kann sich gar nicht vorstellen, wie man auch in einem späten Alter hilflos solchen unscheinbaren, nach aussen hin schwachen Menschen, hilflos ausgeliefert sein kann. Ich werde später diese Situation genauer beschreiben. Nur so viel: Meine Mutter besaß im Gegenteil zu mir bereits schon die ganze Medienmacht, mit der sie mich hätte erpressen können, was dann später auch geschah.

So wurde ich mit einer heiklen Entscheidungsfindung konfrontiert: Entweder ich begebe mich unter den Schirm und ich werde behütet, muss zwar meiner Mutter dienen wie ein Sklave, bin total unfrei, aber dieses Leben würde mir sehr viel Geld und eine gewisse Macht in Aussicht stellen. Sie wollte mich verführen, mich willig unter den schützenden Schirm zu begeben.

Die Alternative wäre, dass ich mit meinem Wunsch nach Autonomie gegenüber meiner Mutter eine Kriegserklärung abgeben würde. Trotzdem war mein Wunsch mit meiner bisherigen Vorgeschichte so gross, endlich meinen eigenen, selbst bestimmten Weg zu gehen. Immer mehr verdüsterte sich meine Beziehung zu meiner Mutter und sie betrachtete mich immer paranoider mit einem sehr misstrauischen und höchst verunsicherten Blick. Ich kannte diesen Blick schon seit meiner Kindheit, immer dann, wenn mein Vater mich bei Tische schlug oder aufs Schlimmste demütigte und quälte und meine Mutter daneben sass und schwieg.

Ich begann eigenständig eine psychotherapeutische Ausbildung bei Professor Bastiaans aus Leiden. Dadurch wurde meine berufliche, gute Beziehung zu meiner Mutter erheblich beschädigt.

Sehr interessant ist es, wie ich Professor Bastiaans kennen lernte. Meine Mutter wurde als grosser Star zu den Therapietagen nach Lindau eingeladen. Sie bot mir an, sie zu begleiten. Also ging ich als kleines Anhängsel zu diesem Kongress. Meine Mutter war dort der grosse Star und die Menschen rissen sich darum, mit Alice Miller nur ein paar Worte zu wechseln. Ich kam mir ganz verloren vor und instinktiv merkte ich, dass bei mir sich ungute Gefühle meldeten, die ich bestens kannte. Automatisch begann ich mich zu lösen und erkundete für mich den Kongress. Ich löste mich von der Mutter. Ich begann ganz langsam, noch unbewusst, aus dem gefährlichen, schwarzen Schatten meiner Mutter auszusteigen und besuchte ganz spontan ein Seminar von Jan Bastiaans. Er behandelte in diesem Seminar das Thema, wie Menschen in Belastungssituationen reagieren. Durch Flucht oder Angriff. Er behandelte auch das Thema Trauma. Ich war ganz fasziniert von diesem Menschen und nach der Vorlesung stellte ich mich vor und benutzte natürlich meinen Vorteil, der Sohn der berühmten Alice Miller zu sein. Ich vereinbarte mit Bastiaans einen Termin in Holland und schon war ich ein Stück freier und eigenständiger. Natürlich in gewohnter Art und Weise erzählte ich meiner Mutter nichts, es blieb mein Geheimnis. Ich habe ja bei meiner Mutter gelernt, wie man sich in solchen Situationen verhält. Ich trat heimlich aus dem Schatten heraus und systematisch nahm ich meine Flucht aus dem Gefängnis planvoll in die eigenen Hände. Wie meine Mutter tauchte ich unter, ich schloss mich dem Untergrund an, nahm inoffiziell eine andere Identität an. Ich spielte den Unwissenden, aber eigentlich entwickelte ich heimlich eine Identität als Psychotherapeut. Leider dauerte dieses Versteckspiel bis nach dem Tode meiner Mutter. Ich blieb Jahrzehnte lang als Preis des Überlebens ein Therapeut im Untergrund. Nie durfte ich zeigen, wer ich eigentlich wirklich bin. So verzichtete ich auf eine Karriere und durfte meine Begabung als Therapeut nie zeigen. Aber ganz kann man sich nicht verstecken und diese wenigen Offenbarungen führten zu schlimmen Konflikten mit meiner Mutter. Dies ging so weit, dass meine Mutter aus Hass mir gegenüber mich fast umgebracht hätte.

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Klammheimlich nahm ich meine Ausbildung bei Bastiaans auf und lernte eine ganze Menge.

Als Einschub möchte ich einige Bemerkungen zum Phänomen von Projektionen beschreiben. Bei einer Projektion werden Gefühle, ganze Personen auf andere Menschen übertragen. Diese Menschen werden dann als der projizierte Teil wahrgenommen. Die Projektion ist eine sehr gefährliche Abspaltung von verdrängten Anteilen einer Person. Oft werden Kinder Opfer von Projektionen ihrer Eltern. Für meinen Vater und auch zum Teil für meine Mutter wurde ich in deren Projektion zum Beispiel der verfolgte Jude in Warschau während des Krieges. Meine Eltern merkten dies gar nicht, sondern sie glaubten tatsächlich, dass ich dieser Jude bin und mein Vater konnte so sein Naziverhalten ohne Schuldgefühle an mir weiter praktizieren, wie wenn sich nichts verändert hätte. Für ihn herrschte immer noch Krieg.

Sei es bei Kriegsopfern oder Menschen, die in ihrer Kindheit schweren Traumen oder Unterdrückungen durch ihre Eltern ausgesetzt waren, wenn sie nie ihr projektives Verhalten reflektiert haben, dann sind in erster Linie ihre Kinder, Partner und viele andere Menschen potentielle Opfer dieser gefährlichen Projektionen, denn diese abgespaltenen psychischen Anteile sind immer äußerst destruktiv.

Als ich als Therapeut anfing zu arbeiten, veränderte sich die Beziehung zwischen mir und meiner Mutter grundsätzlich. Anfangs war ich plötzlich ihr bester und intimster Berater und Freund. Ich half ihr beim Schreiben des ersten Buches, ich hörte ihr zu beim zweiten Buch und gab ihr meine guten Ideen zum Besten. Was war das für mich für eine Erlösung, dass ich endlich von meiner Mutter akzeptiert wurde. Ich fühlte mich in der damaligen Zeit geradezu befreit und freute mich auf eine Zukunft, wo ich mich endlich entfalten und mein eigenes Selbst leben konnte. Ich war ja selber Zeuge, wie ihre Ideen entstanden und war damals der festen Überzeugung, dass ich nun auch von diesen Ideen profitieren konnte.

Diese Annahme entpuppte sich bald als einer meiner größten Irrtümer in meinem Leben. Ich tappte in eine Falle, die mich fast umgebracht hätte. Ich kam in eine Geiselhaft, deren Folgen ich bis heute nicht ganz überwunden habe.

Ganz weit hinten in meinem Hinterkopf wusste ich eigentlich, dass meine Mutter zu ihrer Schwester eine sehr hasserfüllte Beziehung hatte. Nur bruchstückhaft erzählte sie mir davon. Aber es war eigentlich genug für mich, dass ich hätte wissen müssen, mit welcher psychischen Bombe da meine Mutter durch die Welt marschierte. Dass ich mich bei meiner Entwicklung zum Therapeuten ohne es zu merken auf ein äußerst gefährliches, mörderisches Minenfeld zubewegte, merkte ich in der ersten Euphorie nicht. Ich war so froh und glücklich, dass sich meine Mutter für meine Arbeit als Therapeut so interessierte. Sie fragte interessiert nach und ich hatte das Gefühl, endlich würde sich meine Mutter als grosse, berühmte Expertin für meine Arbeit interessieren. Erst heute weiss ich, dass meine Mutter während des Krieges perfekt gelernt hatte, sich anderen Menschen gegenüber aus Überlebensgründen total zu verstellen. Beim besten Willen konnte ich mir damals nicht vorstellen, dass meine Mutter eine enorme kriminelle Energie mobilisierte, um mich in meiner Entwicklung zu stoppen. Da meine Mutter ihre Kontrolle über mich verlor, musste sie Mittel und Wege finden, mich zu zerstören. Ihre ganze Wut auf ihre Schwester, die sie ja auch gegen ihren Willen im Krieg das Leben gerettet hatte, richtete sie gegen mich. Später bestätigte mir die Cousine meiner Mutter, Irenka, dass ich meiner Tante, der Schwester Irena, meiner Mutter sehr gleichen würde. Ihre Schwester war sehr kreativ und nahm das Leben sehr leicht. Alles machte sie spielerisch und sie war auch sehr intelligent. Meine Mutter stellte ihre Schwester mir als eine dumme Gans dar, die nur Dummheiten im Kopf hatte. Sie schilderte sie als dumm und ungebildet. Erst später erfuhr ich, dass meine Tante später in Mexico lebte und dort eine der profiliertesten Professorinnen wurde, die eine exzellente Expertin in der Geschichte der Indianer und Inkas wurde. Sie publizierte mehrere Bücher zu diesem Thema. Diese Leistung wurde aber von meiner Mutter konsequent tot geschwiegen. Nun musste meine Mutter feststellen, dass ich in ihrem Reich, in ihrem Beruf,kreativ sehr schnell eine enorme Konkurrenz darstellte. Ich habe meiner Mutter beim Schreiben ihrer Bücher sehr gut zugehört, denn es gelang mir spielend, schnell von Anfang an ihre Theorie in die Praxis umzusetzen.

Ich genoss es sehr, endlich meinen lang ersehnten Beruf ausüben zu können und es war für mich ein höchst befriedigendes Gefühl, eigenständig, eigenverantwortlich und kreativ meinen Beruf auszuüben.

Da offenbarte meine Mutter ihre wirkliche Einstellung. Heute weiss ich, dass ich schon damals entscheidende Aspekte der Psychotherapie neu entdeckt hatte. Meine Mutter hörte mir zuerst sehr gut zu, bis sie die Nerven verlor und aus Konkurrenzangst ihren Angriff auf meine Autonomieentwicklung startete. Zuerst glaubte ich immer, meine Mutter müsste doch stolz sein auf mich, dass ich ihre Theorie so gut in die Praxis umgesetzt habe, heute weiss ich, dass sie grosse Ängste entwickelte, an die Wand gespielt zu werden. Ihr emotionaler Konflikt mit ihrer Schwester tauchte unvermindert auf.

Sie lernte einen Primärtherapeuten in Bern kennen, Konrad Stettbacher. 1983 erhielt ich eines Tages von ihm einen Brief, in dem er mir mitteilte, dass meine Mutter bei ihm für mich einen sehr begehrten Platz für eine Primärtherapie bei ihm reserviert habe. Ich sollte diese Gelegenheit nicht verpassen und sofort einen Betrag à Konto von CHF 12'000.- überweisen. Den Beginn der Therapie setzte Herr Stettbacher nach einer Wartezeit von drei Jahren fest.

Ich war beim Lesen dieses Briefes wie vor den Kopf gestossen und konfrontierte meine Mutter mit diesem schrecklichen psychischen Übergriff. Meine Mutter explodierte und schrie mich zusammen, wie ich das noch nie erlebt habe. Sie meinte, dass ich doch endlich mal etwas von ihr annehmen sollte, wenn sie schon als Mutter mich als kleines Kind nicht hat adäquat versorgen können. Ich merkte, dass vieles nicht stimmte, denn ich war ja kein kleiner Säugling mehr und man kann doch nicht die Versäumnisse der Kindheit bei einem 33 jährigen, selbständigen Mann wieder gut machen. Wie immer wehrte ich mich nicht, aber ich spürte, dass die Beziehung zwischen mir und meiner Mutter für immer zerstört war durch diesen Übergriff. Meine Mutter probierte alle möglichen Überredungsversuche, mich zu einer Therapie bei Konrad Stettbacher zu überreden. Zum Schluss rief mich Herr Stettbacher an und wollte mich zur Therapie überzeugen. Da passierte dann auch etwas sehr Eigenartiges. Ich begann am Telefon Herrn Stettbacher in Bezug auf seine Erfahrung als Therapeut und auch in Bezug auf sein Wissen zu durchleuchten und merkte bald, dass dieser Mann gar keine Ahnung hatte. Ich lehnte eine Therapie bei ihm ab, weil ich spürte, dass ich mit einem Scharlatan gesprochen habe. Meiner Mutter teilte ich trocken mit, dass ich mich entschieden habe, keine Therapie bei Herrn Stettbacher zu machen und dass ich ihr Angebot ablehnen würde. Wieder explodierte meine Mutter heftigst und ich wurde plötzlich mit dem Urteil konfrontiert, dass ich für Klienten eine schlimme Gefahr bedeuten würde, weil ich von Therapie nichts verstehen würde und meine Mutter teilte mir mit, dass sie mich auch jetzt offiziell als Therapeut bekämpfen würde und es sehr bereuen würde, dass sie mir zu diesem Beruf verholfen hatte. Nun wusste ich, wo der Feind steckte und dass ich mich als Therapeut ganz alleine durchschlagen musste. Auf der anderen Seite hat diese Erfahrung für mich auch einen grossen Vorteil gehabt: Ich wurde gezwungen, meine eigene Methode als Psychotherapeut zu entwickeln, aber leider im Untergrund. Nun bin ich genau an der selben Stelle gelandet, wie meine Mutter im Krieg. Der Kriegsschatten hatte mich wieder eingeholt. Ich durfte nur heimlich, im Untergrund als Therapeut arbeiten, nie wurde akzeptiert, dass ich offen zeigte, was ich wirklich kann. Ich hätte mein Leben aufs Spiel gesetzt und mich verraten. Das Offenbaren der eigenen Identität würde das Todesurteil bedeuten.

So hatte ich einige Jahre mit meiner Mutter keinen Kontakt mehr und lebte mein eigenes Leben. Das ist zwar einfacher gesagt, als getan. Ich heiratete, kaufte ein Haus und genoss das Leben. Auch wenn ich meine Mutter nie sah, war sie dennoch dauernd präsent. In dieser Zeit habe ich zum ersten Mal hautnah verstanden, wie psychische Introjekte sich im praktischen Erwachsenenleben auswirken und sich permanent in das gegenwärtige Leben einmischen. Natürlich ist mein Vater, der mich so Jahrzehnte schlimm verfolgt und gequält hat, nicht verschwunden. Ich hatte oft das Gefühl, dass beide mit ihrer ganzen Aggression und ihrem Hass mir gegenüber ihre einzige Aufgabe weiterhin darin sahen, mir mein Leben so schwer wie möglich zu machen. Da harmonierten sie, trotz des gegenseitigen Hasses sehr gut miteinander. Ich fühlte mich permanent verfolgt. Werden solche Introjekte lebendig, dann hat man das Gefühl, gespalten zu sein. Ich bin mit einem Innenleben konfrontiert, das mich voll in Beschlag nahm. In mir sah es dramatisch und komplett chaotisch aus, gegen aussen aber zeigte ich einen Martin, der als gut situierter Therapeut sein Leben lebte und die angenehmen Seiten des täglichen Lebens genoss.

Ich heiratete und bald zerbrach diese Ehe und ich liess mich scheiden. Kaum vernahm meine Mutter, dass ich geschieden war, bedrängte sie mich mit der Therapie bei Herrn Stettbacher. Sie sagte eiskalt zu mir, als ich wegen der Scheidung am Boden war: „Du siehst nun, dass Du nur geschieden bist, weil Du meinen Ratschlag nicht angenommen hast, bei Stettbacher die Therapie zu machen. Ich hoffe, dass Du jetzt bereit bist, diese Therapie Dir zu Liebe zu machen." Sie nutzte meine Schwäche schamlos aus und in meiner Not sagte ich endlich zu, diese Primärtherapie zu machen. Da ich aber nicht bei Herrn Stettbacher selber die Therapie machen wollte, bot er mir eine Primärtherapie bei einer Schülerin von ihm in München an. So begab ich mich in eine Primärtherapie bei Eva, einer Schülerin von Stettbacher. Erst einige Monate später fand ich aus Zufall heraus, dass die Therapeutin die Sitzungen auf Tonband aufzeichnete und die Bänder immer sofort Herrn Stettbacher zuschickte. Dieser schickte die Bänder meiner Mutter und so konnte meine Mutter meine ganze Therapie überwachen. Ich wurde von ihr dann Monate lang mit den schlimmsten Faxbriefen eingedeckt. Plötzlich wurde mir schlagartig bewusst, dass ich in einem Netzwerk einer tödlichen Sekte gelandet bin. Meine Therapeutin, meine Mutter und Stettbacher gingen zu dritt auf mich los und ich geriet in echte Lebensgefahr. Sie gaben mir bei jeder Gelegenheit zu verstehen, dass ich als Therapeut keine Ahnung habe und ein schlimmer Scharlatan wäre und endlich ihnen gehorchen sollte und mich an die strengen Regeln der Therapiemethode von Stettbacher halten sollte. Mir wurde alles zu viel und ich danke Gott, dass ich auf die Idee kam, nachzuforschen, mit wem ich es da eigentlich zu tun hatte. Ich fand dann sehr schnell heraus, dass Stettbacher nie Psychologie studiert hatte, sondern ein verbrecherischer Hochstapler war. Er war beruflich ein einfacher Lampenverkäufer. Er hatte sich sehr geschickt bei meiner Mutter eingeschlichen. Ich vermute aber, dass meine Mutter sich diesen Verbrecher wie ein Werkzeug selber ausgesucht hat, um ihr Unwesen zu betreiben.

Ich konfrontierte dann in Frankreich meine Mutter mit dem Verbrecher Stettbacher und sofort, wie sie es im Krieg gelernt hatte, passte sie sich mir an. Bei meinem Nazivater, der sie erpresst hatte, hat sie auch ihren Charme aus Überlebensgründen spielen lassen und so ihr Leben gerettet. Plötzlich war Stettbacher ein böser Mensch und ich das arme Opfer. Ich beruhigte mich sofort und meine Mutter hatte es in ihrer genialen Art wieder geschafft, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Heute verstehe ich endlich die Aussage, dass Mafiabosse höchst kriminell und wahnsinnig intelligent sind. Ich konnte mir nie vorstellen, dass diese beiden Fähigkeiten zusammengehören. Lange habe ich immer wieder für mich abgeklärt, ob ich gegenüber meiner Mutter und ihrem abscheulichen Verhalten mir gegenüber paranoid wäre. Aber immer bin ich zum Schluss gekommen, dass diese zierliche Frau mit ihrer höchst brillanten Intelligenz mich tatsächlich umbringen wollte. Meine Mutter beherrschte das Lügen in Reinkultur. Sie hat mich Jahrzehnte in ein undurchschaubares Lügengebäude hinein manipuliert, dagegen konnte ich mich nicht wehren. Nach ihrem Tode überwand ich meine Angst und begann mit dem Schreiben ihrer Biographie. Bald merkte ich, dass ich auch meine Biografie schrieb und erschrak zu Tode, was da alles zum Vorschein kam. Zuerst dachte ich nach der Veröffentlichung meines Buches, dass ich endlich Ruhe hätte, aber ich habe eine Büchse der Pandora geöffnet. Endlich bin ich heute soweit, dass ich mit keinem Geheimnis mehr konfrontiert bin. Meine beiden Eltern können sich glücklich schätzen, dass sie gestorben sind, dennes würde für sie eine schreckliche Tortur sein, mit der Wahrheit durch ihren Sohn konfrontiert zu werden. Leider kann ich ihnen heute nicht mehr mein Wissen zeigen, aber ich habe die Möglichkeit, mein Wissen in jeder Art und Weise zu veröffentlichen. Ich stelle heute fest, dass ich eine ganz neue Methode der Psychotherapie über all die Jahrzehnte entwickelt habe, die sehr erfolgreich ist. Nie habe ich mich getraut, mich zu zeigen. Dass ich heute den Mut gefunden habe und endlich wage, ein Buch über meine Mutter zu schreiben, hängt davon ab, dass ich zuerst meine eigene Biographie aufs Gründlichste habe durchforsten müssen.

Mit diesem Video möchte ich anderen Menschen, die auch in ihrer Kindheit zutiefst gelitten haben, beistehen. Viele Menschen mussten unter einem lebensbehindernden Schirm der Eltern vegetieren und wurden dadurch gehindert, ihr eigenes Leben zu leben. Wenn ich diesen Menschen ein wenig helfen kann, sich aus der lebensbehindernden Umklammerung zu befreien,dann haben sich meine Schmerzen bei der Auflösung meiner Gefangenschaft wirklich gelohnt.

https://www.youtube.com/watch?v=q32_ku7204Y&feature=youtu.be

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Guest
Sunday, 22 December 2024

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